: Wirklich so wichtig ist Football?
■ In seinen Erzählungen „Fleischeslust“ treibt T. C. Boyle großen Aufwand und macht sich über Heilserwartungen lustig
Der Name des Autors ist längst zur Marke geworden, und man möchte dem Hanser Verlag beinahe raten zu werben: „Kaufen Sie Boyle – da weiß man, was man hat. Guten Abend.“ Aber so, wie seine jetzt unter dem Titel „Fleischeslust“ veröffentlichten Geschichten erwartbar ein gleichmäßiges Qualitätsniveau halten, bergen sie andererseits eben dasselbe Problem: erwartbar zu sein.
Natürlich ist wieder beinahe jede Story einfallsreich angelegt. Andererseits: Was für ein Kriterium soll das eigentlich sein? Wieviel Aufwand wird in diesen Erzählungen getrieben, was an Kulissen aufgefahren, nur um nicht einmal allzu originelle Einblicke ins Seelenleben der beinahe noch Normalen zu gewähren. Wobei auch das wiederum problematisch ist, denn Boyles Figuren bleiben, jedenfalls in diesen kurzen Geschichten, Typen. Sie wollen nicht die kleinen Brüche vorzeigen, die sie zu Menschen machen, sie sind immer bloß der Angeber, der kleine Gauner, die verwöhnte Tochter, der Versager, der verwirrte junge Mann, nicht mehr und nicht weniger, und das alles in Großbuchstaben. Auf Boyles opulente, absurde Fantasien und ihre erprobte Verkaufskraft zielt auch der unpassende deutsche Titel „Fleischeslust“, der das programmatische „Without A Hero“ des Originals ersetzt.
Fast alle Geschichten handeln nämlich davon, wie es trotz aller Bemühungen der Gutwilligen kein richtiges Leben im falschen geben kann. Egal ob der großzügige Amerikaner, der sich der kleinen Russin annimmt, sich bloß als das Riesenarschloch entpuppt, das er immer schon war, oder ob die Versuche, wahlweise die Menschen, die Tiere oder die Natur mit fragwürdigen Mitteln zu retten, mal kläglich und mal grauenhaft scheitern; immer macht sich der Autor über private oder kollektive Heilserwartungen lustig. Es geht um die Raffgier und die durch Zivilisationstünche kaum kaschierte Jagd- und Mordlust des modernen Menschen auf der einen Seite und, beispielsweise, die Naivität der fanatischen Tierschützer wie der gläubigen Wissenschaftler auf der anderen.
Beide Positionen spielt Boyle souverän gegeneinander aus, aber der schale Nachgeschmack bleibt: „Dat weet wi nu“, würde mein plattdeutscher Nachbar sagen, „un denn?“
Mag sein, dass man es hier auch mit sehr amerikanischen Stoffen zu tun hat. Sowohl die Art der Nichthelden, den Normen zu entsprechen, wie auch ihre Handlungsweisen, wenn sie sie verletzen, sind meist meilenweit von europäischen Problemstellungen entfernt.
Natürlich ist das keine Schwäche des Buches und wird vielleicht unter ethnologischen Aspekten sogar ganz interessant: So wichtig ist Football? So ein Großthema ist Fleischessen contra Vegetariertum? Tja, und denn?
Erfreulich abseitig liest sich die Geschichte über den Besuch eines pubertierenden Beat-Jünglings bei seinem Helden Jack Kerouac am heiligen Christfest. Nicht der Angebetete öffnet die Tür, sondern dessen Mutter: „ 'Geh zurück, wo du hergekommen bist‘, sagte die alte Lady. 'Mein Jacky hat keine Zeit für diesen Blödsinn.‘ “
Wenn auch diese Konstellation wiederum im kalkulierbaren Desaster endet, bildet sie doch ein wunderbares, rabenschwarzes Gegenstück zu Boyles zarter Erzählung vom Besuch bei Jane Austen („Mein Abend mit Jane Austen“, auf deutsch 1997 bei Maro erschienen). Das kann eben nur einer: T. C. Boyle. Da weiß man, was man hat. Guten Abend.
Susanne Fischer
T. Coraghessan Boyle: „Fleischeslust“. Aus dem Amerikanischen von Werner Richter. Hanser Verlag, München 1999. 293 Seiten, 36 DM
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