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Telekom zahlt für Telefon-Sex

6.518,54 Mark plus Umsatzsteuer sollte Herr B. für Erotik-Telefonate an die Telekom zahlen. Weil sittenwidrig, verzichtet der Konzern jetzt auf den Anspruch  ■   Von Frank Krause

Berlin (taz) – Zugegeben, es sind schon heiße Bilder, die den Zapper nach Mitternacht beglücken. Im öffentlichen Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) ist gerade die Nationalhymne verklungen, da geht's bei den Privatsendern erst richtig los. Barbusige „Hausfrauen, ganz in ihrer Nähe“, versprechen den ultimativen „Sofortkontakt“ unter 0190-„Sex, Sex, Sex“.

Feuchtwarme Blondinen in leider schon vollbesetzten Wannen locken mit der Betörung, für nur sechs Pfennige pro Sekunde ihre Planscherei für eine garantiert lustvolle Plauderei zu unterbrechen. Andere Badenixen, vom verbalen Liebesspiel wohl schon etwas ermattet, laden den Zapper der Einfachheit halber ein, gleich zuzusteigen ins nasse Vergnügen. Denn, so wird glaubhaft versichert, „wir sind neugierig und zu allem bereit. Ruf an!“

Es darf vermutet werden, dass die Telekom an den Sirenen des Informationszeitalters gut verdient. Immerhin gelang es ihrem 48jährigen Kunden Wilfried B. (Name geändert), auf diesem Wege innerhalb von zwei Monaten 6.518,54 Mark plus 16 Prozent Steuer zu vertelefonieren.

Die Telekom profitierte dabei von der Sehnsucht des allein stehenden Herrn B., mittels „Sofortkontakt“ ein passendes Äquivalent zu finden. „Ich verlange nicht viel von einer Frau“, sagt Herr B., „treu muss sie sein, ein bisschen zärtlich soll sie sein, vor allem aber häuslich darf sie sein.“ Von einem Bekannten bekam er dann den Tipp, es einmal mit einer 0190-Nummer zu versuchen. Dass aus einer Sekunde zu sechs Pfennigen nach sechzig Sekunden 3,60 Mark und nach einer Stunde 216 Mark werden, vergaß Herr B. spätestens in dem Moment, als er mit „Denise“ verbunden wurde. „Denise“, so sagt Herr B. noch heute. „Denise hätte prima zu mir gepasst. Wir schwammen auf derselben Wellenlänge. Konnten über alles reden und haben viel gelacht.“

„Denise“ war auch die erste Frau im Leben des Herrn B., die ihm – nach langen Sechs-Pfennig-Telefonaten – einen Brief schrieb:

„Hallo! Wie in der Nacht versprochen, schreibe ich Dir einen Brief. Wie ich Dich einschätze, rechnest Du nicht mit diesen Zeilen. Ich in aber ein Mensch, der zu seinem Wort steht. Es war keine böse Absicht von mir, Dich gestern am Telefon warten zu lassen. Es ging aber nicht anders ... Wundere Dich bitte nicht über meinen Absender. Ich bin aus persönlichen Gründen nach Werdau gezogen. Da meine Trennung nicht ohne Probleme abgelaufen ist, ist mein Absender in Erfurt ein Postfach von meinen Eltern, die mir unverzüglich meine Post zuschicken ...“.

Zwei liebevolle Seiten Selbstverfasstes und ein eigens angefertigtes Porträtfoto schickte Herr B. als Antwort an das Postfach in Erfurt. Fast zeitgleich mit der Nachricht „Empfänger unbekannt“, kam die erste Mahnung der Telekom. Der sehr geehrte Herr B. möge doch bitte so freundlich sein, die noch offene Telefonrechnung in Höhe von 6.518,54 Mark zzgl. 16 Prozent Umsatzsteuer umgehend zu bezahlen.

„Wovon?“, fragte sich da Herr B. „Bei meiner Arbeitslosenhilfe von 840 Mark?“ Der freundliche Herr vom Telekom-Kundendienst konnte ihm da auch nicht weiterhelfen: „Wir machen nur das Inkasso für den Hotline-Anbieter“, sagte der, um dann eine Spur weniger freundlich hinzuzufügen: „Aber bezahlt werden muss!“

Die Telekom verlieh ihrer Forderung dann so subtil Nachdruck, wie das nur Monopolisten oder Schutzgelderpreser vermögen. Nachdem in der Konzernzentrale ein Schreiben der inzwischen von Herrn B. eingeschalteten Anwälte einging, worin der Telekom Foderungsverzicht nahe gelegt wurde, „da das der Forderung zugrunde liegende Rechtsgeschäft sittenwidrig sein dürfte“, bekam Herr B. Besuch von der Telekom: Innerhalb weniger Minuten war sein heißer Draht zu „Denise“ und dem Rest der Welt gekappt und die vom Telekom-Vorstandsvorsitzenden Ron Sommer gepriesene globale Kommunikationsgemeinde um ein Mitglied ärmer.

Dies tat der Telekom natürlich schrecklich leid. Sie empfahl Herrn B., „gegen die Sperre Rechtsschutz vor den Gerichten“ zu suchen, was dieser auch tat.

In Schwaben wurde Herr B. durch seine Rechtsanwälte fündig. Dort hatte das Oberlandesgericht Stuttgart unter dem Aktenzeichen 9 U 252/98 festgestellt, dass sich die Telekom mit dem Gebühreneinzug für Hotline-Anbieter „in vorwerfbarer Weise an der kommerziellen Ausnutzung eines sittenwidrigen Rechtsgeschäftes“ beteilige. Im Klartext: Herr Ron Sommer würde für die von Fräulein „Denise“ und Herrn B. verursachten Telefonkosten aufkommen müssen.

Und so war es dann auch: Kaum hatten die Hennigsdorfer Anwälte den Telefonkonzern durch Klage an die Stuttgarter Sittenstrenge erinnert, bekam Herr B. Post. „Ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht“, hieß es da, „verzichtet die Telekom auf 6.518,54 Mark zzgl. 16 Prozent Umsatzsteuer für 90 Verbindungen zum Tele-Info-Service 0190.“

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