: Anna (10) trifft den König (777)
■ Das Schnürschuh-Theater serviert Groß und Klein zu Weihnachten ein einfühlsam inszeniertes und fesselnd gespieltes Wechselspiel zwischen Kinder- und Märchenwelt
Was war am beeindruckendsten? „Wie es dunkel wurde und die Decke einstürzte“, sagt der Kindermund, als der Beifall sich gelegt hatte. „Anna und der König, der aus dem Märchen fiel“, das Weihnachtsmärchen von Robert Thayenthal, hatte am Sonntag im Schnürschuh-Theater Premiere. Ein Stück, das die Kleinen (freigegeben ab 6 Jahren) und auch die Großen anderthalb Stunden durchaus zu fesseln vermag. Denn es bietet für die Kleinen und für die Großen eine Identifikations-Figur, für die Großen allerlei hintersinnige Anspielung und für die Kleinen eine spannende Geschichte.
Die zehnjährige Anna, die, wenn sie rote Haare hätte, auch Pippi heißen könnte, ist ein richtiges Mädchen aus dem richtigen Leben. Ihr Vater ist irgendwie weg, die Mutter muss deswegen bis fünf Uhr nachmittags arbeiten, und Anna hat in ihrem Rucksack alles, was ein alleingelassenes Mädchen braucht: ein Gespenster-Tuch, ein Piratenmesser und einen Indianer-Kopfschmuck. Und einen Fußball. Der gerät irgendwie in ein halbverfallenes Haus hinein, und als Anna ihn wieder holen will, erschreckt sie einen alten Mann, der da verängstigt und mürrisch im Rollsuhl sitzt. Seit 777 Jahren, sagt er, denn er sei der König, der in allen Märchen vorkommt, aber irgendwie rausgefallen sein muss.
Und da beginnt die Geschichte zwischen den beiden. Anna, hinreißend gespielt von Kerstin Kromminga, ist neugierig auf diesen falschen König, schwankt zwischen Ehrfurcht und unbefangener Direktheit. Am Ende wäscht sie dem König die seit 77 Jahren stinkenden Füße und setzt ihm ihren Indianer-Schmuck auf, den sie schöner findet als seine alte Krone.
Der König, dargestellt von Schnürschuh-Gründer Reinhard Lippelt, sucht nach der verlorenen Prinzessin und macht sich glauben, er habe sie in der hinreißenden Anna wiedergefunden. Deswegen vertraut er Anna sein Geheimnis an, Anna darf sogar die Prinzessinnen-Kleider anziehen – und dann passiert es eben, es kracht und donnert und Jamal El Allouki, der hinter den Kulissen für die perfekte Technik sorgt, lässt es auf einen Schlag dunkel werden: Sie ist die falsche verwunschene Prinzessin, will dieses Gottesgericht sagen.
Das ist Anna im Grunde auch lieber, sie packt ihren Fußball ein und lässt den König durch das aufgeschlagene Märchenbuch wieder in seine Märchenwelt zurückspringen.
Unter der Regie von Corinne Senkbeil ist es dem Schnürschuh-Theater gelungen, das Wechselspiel von Märchenwelt und Kinderwelt dicht und glaubwürdig auf die Bühne zu bringen. Der Unterschied scheint am Ende verschwunden. „Ich kann doch nichts dafür, dass ich keine echte Märchenprinzessin bin“, entschuldigt sich Anna. Und der alte König flennt bitterlich, wie das im richtigen Leben nur Kinder können. Klaus Wolschner
Termine: 16., 17., 18., 19.11. jeweils 11 Uhr und dann fast täglich. Vorbestellungen unter Tel.: 55 54 10
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