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Krieg ist mitfühlendes Töten

Vom metaphysischen Interesse bis zur nationalistischen Ideologie ist es manchmal nur ein Schritt. Der Sprachwissenschaftler Brian Victoria untersucht die unheimliche Allianz des Zen-Buddhismus mit Großmachtfantasien, Militarismus und Krieg  ■   Von Ludger Lütkehaus

Die spirituellen und esoterischen Bewegungen des Westens suchen seit längerem im Osten das größere Licht. Die neuzeitliche Säkularisationsgeschichte, das irdische Missvergnügen an Gott und den Heilsangeboten der eigenen Tradition haben das „metaphysische Bedürfnis“, von dem noch Arthur Schopenhauer sprach, nur in andere Bahnen gelenkt. Neben den diversen Gurus sind es in den seriöseren Formen vor allem die meditativen Wege des Buddhismus, die zu Recht Beachtung gefunden haben, vom klassischen Hinayana-Buddhismus über den lamaistischen bis zum Zen-Buddhismus. Die beiden Letzteren sind geradezu populär geworden, bis hin zur Mode und zu einem neuen Personenkult.

Beim Zen ist nicht nur die Meditation attraktiv, sondern auch ein Ästhetizismus, der das Schöne in Ritus, Habit und Architektur mit dem Heil zu verbinden weiß, aber in überaus kargen Formen, wie sie der traditionellen japanischen Ästhetik entsprechen. Zen repräsentiert für den Westen sozusagen die protestantisch-asketische Variante, während der tibetische Buddhismus die üppigere katholische Variante vertritt.

Ein subtiler Antiintellektualismus kommt im Zen mit seiner Lehre vom Nichtdenken, Nichtreflektieren, Nichtunterscheiden hinzu, der den altersmüden westlichen Intellektuellen gestattet, auf niveauvolle Weise den Kopf in den Sand zu stecken. Die Vorliebe für die Paradoxien der Koans drückt den geistreichen Selbstabdankungsakt prägnant aus. Eine strikt hierarchisierte Gemeinschaft sorgt dafür, dass die Zumutungen der Heilsautonomie im klassischen Buddhismus, dessen Selbsterlösungslehre die dialektisch gewordenen Aufklärer von ehedem noch allzu sehr an Kants Aufklärung als Ausgang aus selbst verschuldeter Unmündigkeit erinnert („Habe Mut, dich deines eigenen Erlösungsweges zu bedienen“, lehrte der Chinese von Königsberg), nicht überhand nehmen. Und die meist sehr kernigen Repräsentanten des Zen zeigen zusammen mit der Nähe zu den Kampfsportarten, dass die meditative Weisheit nicht mit Blutarmut einhergehen muss. „Satori“, Erleuchtung, ist mitten im Lebenskampf zu erfahren. Im Zentrum des Taifuns ist meditative Windstille – aber eben im Zentrum eines Taifuns.

Dieses attraktive Bild wird jetzt auf desillusionierende Weise korrigiert von einem Buch, das heftige Diskussionen provozieren wird. Ein westlicher Insider hat es geschrieben, Brian Daizen A. Victoria, Mönch der Soto-Zen-Richtung, an der Universität von Auckland Dozent für asiatische Sprachen und Literatur, langjähriger Mitarbeiter in der asiatischen Friedens- und Menschenrechtsbewegung eines „engagierten Buddhismus“. Sein Thema ist die „unheimliche Allianz“ von Zen, Nationalismus und Krieg. Der bisher eher mit esoterischer Literatur identifizierte Theseus Verlag hat das trotz einiger Mängel im Dokumentarischen und eines nicht just mitreißenden Stils lesenswerte Buch publiziert.

Brians Material aus der Zeit der Meiji-Restauration nach 1868, der japanisch-russischen und -chinesischen Kriege, der Kolonialisierung Koreas, Taiwans und des Marionettenstaates Mandschuko, vor allem aber des so genannten „Großen Ostasienkriegs“, des Pazifikkriegs, ist deprimierend: Fast alle Richtungen, fast alle Vertreter des Zen-Buddhismus in Japan haben sich bis auf wenige rühmliche Ausnahmen wie Gudo Uchiyama als nationalistische und militaristische Ideologen eines kaiserlichen japanischen Großreichs kompromittiert. Der japanische Zen hat es nicht nur versäumt, das pazifistische Ethos des Buddhismus, seine Ablehnung von Tötung und Gewalt, seinen Leitwert der mitfühlenden Liebe hochzuhalten – im Gegenteil hat der Buddhismus im militanten japanischen Zen gleichsam Harakiri, Selbstmord und Mord begangen.

Das ist besonders schmerzlich dort festzustellen, wo dem Westen lieb gewordene Gestalten ganz andere Konturen erhalten. Das peinlichste Beispiel ist der hochangesehene, geradezu populär gewordene Daisetz T. Suzuki, den man als großen Vermittlers des Zen-Weges und als Gesprächspartner von Erich Fromm kennt. Bestenfalls opportunistisch motiviert, in der Sache ohne Wenn und Aber hat er mit dem brutalen Nationalismus des Kaiserreichs kollaboriert.

Nicht die Personen aber sind das Heikelste an Victorias Buch, sondern die nahezu unbegrenzt scheinende Pervertierbarkeit einer großen Erlösungslehre. Der Zen-Buddhismus der Mönche wurde rückhaltlos mit dem Krieger- und dem Kaiser-Zen amalgamiert. Aus der Lehre von der Ichlosigkeit, vom Nicht-Selbst, die jedes Selbst betrifft, wurde eine Schule bedingungsloser Ergebung in den kaiserlichen, den obrigkeitlichen Willen, aus der Lehre vom Nicht-Denken eine freiwillige Einübung in den Kadavergehorsam und die Sklavenmoral. Adolf Hitler und Rudolf Hess haben den japanischen Totalitarismus im Gegensatz zum westlichen Individualismus hoch geschätzt. In Japan gab es bei den brutalen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die freilich trotz des Nanking-Massakers nicht die Dimensionen von Auschwitz erreichten, noch weniger Widerstand als im Dritten Reich.

Die Lehre von der Nicht-Unterscheidung vertrug sich im Innern nur zu gut mit den rigorosen Unterscheidungen der kaiserlichen und militärischen Hierarchie, extern mit dem Mythos der japanischen Überlegenheit. Die Karma-Lehre diente auch in Japan immer schon zur Konsolidierung und Rechtfertigung gesellschaftlicher und nationaler Sonderrechte und Diskriminierungen. Andererseits beförderte der Geist der Nicht-Unterscheidung die moralische Indifferenz: Krieg und Frieden, Tod und Leben – letztlich alles gleich. Der Weg der Selbsterlösung mündete in eine Fremderlösung durch Vernichtung. Das Einssein mit dem absoluten Augenblick gerade im Angesicht des Todes entpuppte sich als effektives Selbstmörder- und Mördertraining. Die Doppellehre vom „Schwert, das tötet“, und dem „Schwert, das Leben schenkt“, und zwar ausgerechnet dem, den es tötet, von Suzuki gern bemüht, war allemal das blutigste und paradoxeste Koan: Krieg als Übung im „mitfühlenden Töten“ – das war nicht etwa zynisch gemeint. In Nanking etwa wurden hunderttausende offenbar aus schierem Mitgefühl ermordet, gefoltert und vergewaltigt.

Ein düsteres Buch. Der Eindruck wird auch nicht dadurch gemildert, in welcher Tradition das alles steht. Die Allianz von Zen und Samurai im „bushido“, dem „Weg des Kriegers“, tat nach der triftigen Einschätzung Victorias dem Buddhismus seit je Gewalt an. Vom „Hagakure“ des 18. Jahrhunderts über die Kamikaze des „Großen Ostasienkriegs“, für die Zen-Klöster die Bomber stifteten, bis zum Harakiri Yukio Mishimas, des jüngsten und militantesten Literatursamurais, des Epigonen des „kaiserlichen Wegs“, reichen die trostlosen Belege. Und die nahtlose Überleitung des Samurai-Zen in ein „Unternehmens-Zen“ zur Schulung und Disziplinierung von Konzernsoldaten nach dem Zweiten Weltkrieg ist nur die Fortsetzung des Krieges mit ökonomisch-ideologischen Mitteln. Victoria plädiert mit seiner harschen Kritik an den rigoros hierarchischen, konformierenden Organisationsstrukturen für eine Rückkehr des Zen zum Buddhismus – für Zen-Anhänger gewiss eine skandalisierende Pointe. Gerechterweise muss man hinzufügen, dass auch die diversen Christentümer bis hin zu den biblisch-blutigen Koans der Feldgeistlichen und Militärpfarrer eine deprimierende Verratsgeschichte aufzuweisen haben. Erleuchtend freilich ist die Erkenntnis kaum, dass es stets das Unheil ist, welches sich globalisiert. Brian Daizen A. Victoria: „Zen, Nationalismus und Krieg“. Aus dem Englischen von Theo Kierdorf und Hildegard Höhr. Theseus Verlag, Berlin 1999. 399 Seiten, 46 DM

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