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Ribbeck: „Raus!“

Deutschlands Nationalelf kann nach dem 1:0 beim überlegenen Favoriten Norwegen jetzt als Mitläuferland im Weltfußball ein Außenseiter-Image kultivieren  ■   Von Bernd Müllender

Berlin (taz) – Wenn es vor, sagen wir, 20 Jahren schon einen Sportteil dieser Zeitung gegeben hätte, wäre sicher von großer Blamage die Rede gewesen nach dem 1:0 in Oslo gegen Norwegen, von grottigem Gewürge und vom Glückssieg. So peinlich das, haha. So unterirdisch schwach gespielt. Und sicher wären subtile Verhöhnungen gefolgt.

Woanders hätte es geheißen: Da sind unsere Helden wohl lustlos nur mit angezogener Handbremse zu Werke gegangen, haben nur das Pensum heruntergespult – man hätte ja, wenn man nur gewollt hätte, ganz anders können! Dem Gegner wurden halt, als wäre er von einem Gnadenakt abhängig, so viele Freiräume gestattet. Und man hätte generös und belustigt konstatiert, wie keck und frech der Fußballzwerg Norwegen, diese putzigen Fußball-Wikinger, dem großen Fußball-Imperium Deutschland zugesetzt habe.

Manche schreiben und denken heute noch so. Aber heute leben wir in anderen Zeiten. Norwegen hat zwar weniger Einwohner als der Deutsche Fußball-Bund aktive Ballbeweger in seinen Mitgliederlisten, aber die Lektionen von modernem Fußball umzusetzen gelernt. Die vielen Torchancen, vornehmlich in der ersten Halbzeit, waren Folge technisch hoch überlegener Akteure, raffinierter Spielzüge, einem harmonischen Ganzen. Deutschland war der alte Koloss, der wacker dagegenzuhalten versuchte. Im Rahmen seiner bescheidenen Möglichkeiten. Überraschend war diese Rollenverteilung keineswegs. Schon vorher war Norwegen nach überzeugenden Auftritten in den vergangenen Jahren Favorit, und die darbenden Germanen waren mit offen bekundetem Respekt angereist, nervösen Herzens und, zumindest in der Anfangsphase, mit sichtbarer Bänglichkeit in den Gesichtern.

Deutschland hat die gleichen Verteidigertypen wie vor 20 Jahren: rustikale Gestalten, die den Platz umpflügen können wie das fleißigste Bäuerlein nicht seine Scholle. Die bei Ballbesitz aber Statiker des Rasenwesens sind, nicht in der Lage, mehr als den Bloß-weg-mit-diesem-tückischen-Ball-Sicherheitspass über zehn Meter zu spielen. Kaum mehr steigerbar in dieser Disziplin: Christian Wörns. Aber gerade der bekam von Coach Erich Ribbeck ein Extra-Lob fürs Ackern – der Trainer weiß, was möglich ist und was nicht zu erwarten. Die DFB-Auswahl hat wie stets einen guten Torhüter und eine immergleiche Spielkultur: Viel Kick and Rush deutscher Art mit traditionell unberechenbaren Stürmern. Und den gleichen Matthäus sowieso. Deutscher Fußball heute mit den Mitteln aus dem Gestern.

Aber sie haben gewonnen. Vor 20 Jahren hätte man das der Routine zugeschrieben oder der Angst des Gegners vor dem Sieg. Später wäre Gary Linekers Diktum bestätigt gewesen: „Fußball ist ein Spiel für 22 Leute, und am Ende gewinnt immer Deutschland.“

Falsch ist der Satz nicht geworden: Sicher war der späte Sieg durch Scholls Freistoßtor in der Nachspielzeit nach einem Foul, das keines war, durch einen Ball, der nur genau diesen einen Weg nehmen konnte zwischen Torwartfingerspitzen des bahnschrankenartig niedersinkenden Norwegerkeepers und Innenpfosten zwar glücklich, aber richtungsweisend: Deutschland ist im großen Weltfußball nur noch Mitläuferland mit vielen Hinterherläuferspielern – aber das scheinen sie jetzt zu wissen und bald schon verinnerlicht zu haben: Wir sind nicht mehr wer. Aber wir wehren uns mit unseren Mitteln tapfer gegen die Übermacht der anderen, wie Zypern oder Malta vor 20 Jahren. Nur mit mehr Erfolg. Spielerische Finesse und taktische Raffinesse erwartet eh keiner mehr.

Auf der Trainerbank haben sie das längst verstanden und beginnen wieder mit taktischen Basics: Während die Flanke in den Strafraum segelt, brüllt Erich Ribbeck seinen Abwehrmannen zu: „Hoch! Hoch!“ Kaum haben sie in Bedrängnis den Ball: „Weg damit! Richtig!“ Und dann zur Abwehr: „Raus! Raus! Raus!“ Und wenn sich einer hängen lässt: „Scholliii, mach mit hier, Scholli! Weiter!“

Man konnte das gut verstehen, weil so wenige Menschen im Stadion zu Oslo waren: Kaum zwei Drittel waren die Reihen gefüllt. Deutschland als Gegner, das ist halt kein Hit mehr wie vor 20 Jahren. Und am Image des Underdogs aus Germany gilt es nun zu arbeiten. Und Ribbeck tut das schon: „Dass wir bei einer so starken Mannschaft bestehen konnten, lag nicht an unserer Überlegenheit.“ Sondern am Glück und Willen.

Eine dänische Zeitung hatte das gestern auch erkannt, sich nur verdruckt: „Das war nicht typisch deutsch, das war urtypisch deutsch.“ Es hätte „untypisch deutsch“ heißen müssen. Typisch deutsch ist in Nuancen anders deutsch geworden.

Was das für die Titelverteidigung bei der Europameisterschaft 2000 bedeutet? Wenig. Sie dürften die Vorrunde nicht überstehen, aber sie können es vielleicht.

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