: Die PKK vor der Jahrtausendwende
PKK-Chef Öcalan will 2.000 Friedensbotschafter in die Türkei schicken. Türkische Kurdenpolitik kommt in Bewegung. Organisation kurdischer Intellektueller nimmt am OSZE-Gipfel teil ■ Aus Istanbul Jürgen Gottschlich
Wo alle mit Vorbereitungen für die Jahrtausendfeiern beschäftigt sind, will auch der türkische Kurdenführer Abdullah Öcalan nicht abseits stehen. Nach Berichten türkischer Zeitungen plant der auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierte Apo, zur Jahrtausendfeier eine 2.000 Köpfe starke Friedensdelegation in die Türkei zu schicken. Noch ist nicht klar, von wo diese 2.000 PKKler kommen sollen, wahrscheinlich werden aber sowohl Vertreter aus Europa als auch Guerillakämpfer aus dem Nordirak dazugehören.
Falls dieses Jahrtausendprojekt verwirklicht wird, hätte Öcalan de facto einen entscheidenden Einwand der türkischen Militärs gegen seine bisherigen Friedensaktionen entkräftet. Sowohl die türkischen Generäle als auch Regierungschef Bülent Ecevit hatten die Rückzugsankündigungen Apos stets mit dem Hinweis vom Tisch gewischt, wenn die PKK den Krieg wirklich beenden wolle, solle sie die Waffen niederlegen und sich ergeben. Die Mitglieder der beiden Friedensdelegationen, die die PKK bereits in die Türkei geschickt hatte, waren denn auch von offizieller Seite wie Terroristen behandelt worden. Sie wurden dem Haftrichter vorgeführt und warten nun im Gefängnis auf ihre Prozesse.
Diese Hartleibigkeit hat auch die Diskussion über Apos Kurs innerhalb der PKK noch einmal angeheizt. Bereits vor zwei Wochen fand in Bonn ein Treffen von PKK-Dissidenten mit anderen, der PKK seit längerem distanziert gegenüberstehenden kurdischen Intellektuellen statt, auf dem der Apo-Partei Verrat an der kurdischen Sache vorgeworfen und ihr Alleinvertretungsanspruch für die Kurden in der Türkei bestritten wurde. Die Runde in Bonn beklagte vor allem, dass der jetzige „Friedenskurs“ genauso undemokratisch bestimmt werde wie zuvor der Guerillakrieg.
Die Kritiker der neuen PKK-Politik übersehen allerdings, dass es in der Kurdenfrage durchaus Bewegung gibt. Seit die PKK angekündigt hat, den bewaffneten Kampf innerhalb der Türkei einzustellen und sich zurückzuziehen, genießt die prokurdische Hadep bis dahin ungeahnte Freiheiten. Obwohl gegen die Partei nach wie vor ein Verbotsverfahren läuft und führende Funktionäre wegen Unterstützung der PKK angeklagt sind, hatte Staatspräsident Demirel bereits Ende August eine Wende im staatlichen Verhalten gegenüber der Hadep signalisiert. Er empfing im Präsidentenpalast die Hadep-Bürgermeister, die bei den Aprilwahlen in den großen Städten der kurdischen Gebiete gesiegt hatten. Seitdem hat der Druck auf die Hadep spürbar nachgelassen. Vor einer Woche konnte die Führung der Hadep, erstmals seitdem die Partei existiert, ohne Behinderung durch die aufständischen Provinzen im Südosten reisen und in Städten wie Diyarbakir, Van und Hakkarie große Kundgebungen veranstalten.
In diesen Tagen ist noch ein weiteres Novum in der türkischen Kurdenpolitik zu beobachten. Eine Gruppe kurdischer Intellektueller hat sich unter dem Namen Demos zusammengeschlossen und nimmt nun mit Billigung des türkischen Außenministeriums als NGO an dem in der kommenden Woche beginnenden OSZE-Gipfel in Istanbul teil. Die Gruppe hat dem OSZE-Sekretariat ein Memorandum zur Lösung der Kurdenfrage übergeben und will sich um eine Versöhnung zwischen den verfeindeten Lagern bemühen.
Die nächste Hürde im komplizierten kurdisch-türkischen Dialog kommt am 24. November. wenn der Kassationshof das endgültige Urteil über Abdullah Öcalan spricht. Allerdings wäre auch eine Bestätigung des Todesurteils längst nicht das letzte Wort. Die türkische Regierung hat bereits angedeutet, danach die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg abzuwarten und erst dann über die Vollstreckung des Urteils im Parlament zu entscheiden. Bis dahin könnten durchaus noch ein, zwei Jahre ins Land gehen.
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