: Schock durch neues Beben
■ Bremer TürkInnen befürchten weitere Erdbeben in der Region um Istanbul / Hilfsinitiativen legen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf langfristige Wiederaufbauhilfe
Die Ereignisse überholen die Bremer Türkei-Hilfe. Gestern Abend lud die Aktion „Das Viertel hilft“ noch zum Dinner zugunsten der Erdbebenopfer vom August. Unterdessen erschüttert das Elend nach dem neuerlichen Beben in Düzce die türkische Gemeinschaft Bremens.
Obwohl erheblich weniger Bremer Türken aus der nun betroffenen Region stammen als aus den Hafenstädten Gölcük und Izmit, ist die Stimmung gedrückt. Die Angst vor weiteren Beben geht um, besonders vor dem „Big Bang“: Niemand mag sich vorstellen, was passiert, wenn Istanbul mit seinen zehn Millionen Einwohnern im Zentrum eines schweren Bebens liegt.
„Da fangen sie schon an, besonders gefährdete Hochhäuser abzureißen“, sagt Metin Uzun. Seine Familie hat in Düzce ihr Haus verloren, ist aber immerhin unverletzt davon gekommen. Drei angstvolle Tage lang hat Uzun stündlich die türkischen Fernsehnachrichten verfolgt, bis er endlich seinen Bruder per Mobiltelefon erreichte.
Im August erlebte er das Beben im Urlaub mit. „Wir haben uns zum Schlafen einfach auf die Straße gelegt. Aber das geht jetzt bei minus zehn Grad nicht mehr“, sagt Uzun. Zurück in die Häuser traut sich aus Angst vor Nachbeben trotzdem niemand. Deshalb will der Gröpelinger ein winterfestes Zelt und warme Kleidung kaufen und dann damit in die Türkei fliegen.
Wer dagegen tote oder verletzte Angehörige habe, sei längst dort, sagt er. Die Ersten seien schon am Wochenende einfach zu den Flughäfen in Hannover oder Hamburg gefahren und hätten auf den nächsten freien Platz nach Istanbul gewartet. Das erklärt auch, dass Mustafa Carabacak in seinem Reisebüro in der Lindenhofstraße bislang keine erhöhten Buchungen verzeichnet.
Auch der Fleischer Colak Sah-sade auf der anderen Straßenseite bestätigt, dass seine Kunden, deren Angehörige zu Schaden kamen, längst vor Ort seien. Er selbst hatte sein Haus im August verloren. Obwohl seine Angehörigen damals wie heute unverletzt geblieben sind, sieht er kein türkisches Fernsehen mehr – er hält das Grauen nicht aus.
Die Bremer Hilfsinitiativen sind derweil ein wenig ratlos. Schnelle Unterstützung für die Nothelfer vor Ort plant Raimund Cassalette vom Taxi-Landesverband. Im August wurden die Chauffeure mit Sachspenden förmlich überrannt, die sie mit zehn LKW nach Izmit brachten. Dort verteilten sie die Hilfsgüter gemeinsam mit der örtlichen Feuerwehr, deren Einsatzbereitschaft den Bremern großen Eindruck machte.
Damals fehlten den Rettern Zelte und Schlafsäcke, um während des Dauereinsatzes wenigstens kurze Schlafpausen einlegen zu können. Diesem Notstand wollen die Taxifahrer nun schnellstens Abhilfe verschaffen. Sie haben 150 Schlafsäcke von der Bundeswehr zur Verfügung gestellt bekommen. Sobald sie Zelte dazu organisiert haben, wollen sie die Fracht mit schnellen Kleinbussen in das Krisengebiet bringen. Adressat ist die Feuerwehr von Izmit, die auch in Düzce wieder im Einsatz ist. Eventuell wird kurzfristig auch noch Winterkleidung beigeladen.
Andere Organisationen haben mit Sachspenden eher schwierige Erfahrungen gemacht. Zollkontrollen und andere bürokratische Hindernisse hatten im August die Auslieferung von Hilfsgütern behindert. Die Bremer Fatih-Moschee ruft diesmal deshalb zu Geldspenden auf, die sie an die großen Hilfsorganisationen weiterleiten wird. Der Dachverband der Ausländerkulturvereine (DAB) will noch in diesem Jahr den Erlös seines Freundschaftsfestes (11. Dezember) an die Erdbebenhilfe spenden.
Auch Viertel-Bürgermeister Robert Bücking, Koordinator der Initiative „Das Viertel hilft“, sieht im Moment in Düzce die Stunde der professionellen Helfer gekommen. Die Aufgabe der Menschen hier liegt seiner Ansicht nach in der Organisierung einer langfristigen Wiederaufbauhilfe. Dazu möchte er eine Konferenz aller Bremer Hilfsorganisationen anregen. Das Spendenaufkommen, so Bücking, gebe nach dem neuerlichen Erdbeben keinen Anlass zu „Hurrah-Meldungen“. Deshalb müssten alle in der Erdbeben-Hilfe Engagierten enger zusammenrücken und ihre Strukturen vernetzen. jank
Spenden an „Das Viertel hilft“ an: Sparkasse Bremen, BLZ 290 501 01, Ktnr.: 16 72 195.
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