: Die doppelte Negation von Schönheit
Betrachte das Licht, und du bist fasziniert – daran gehindert, dessen Begrenzung an seinem Ende zu erfassen“: Dan Flavin, der vor drei Jahren verstorbene Hauspoet der Minimal Art, und seine „Architektur des Lichts“ im Deutschen Guggenheim ■ Von Aureliana Sorrento
Der Effekt ist gewiss und gewollt. Die Anziehung kalkuliert. Das raumdurchflutende fluoreszierende Licht, das Dan Flavins Leuchtstoffröhren ausstrahlen, lockt und stößt zugleich ab. Man freut sich über die künstliche Dorado-Atmosphäre, nach einer Weile fängt man an zu blinzeln.
„Betrachte das Licht, und du bist fasziniert – daran gehindert, dessen Begrenzung an seinem Ende zu erfassen“, liest man in einer autobiografischen Skizze des 1996 gestorbenen Künstlers.
Es klingt schwärmerisch, aber nichts lag Flavin ferner, als die Sehnerven der Kunstgänger zu hätscheln. Wer einige seiner Großlichtwerke gesehen hat, die mit flirrendem vielfarbigem Licht wie radschlagende Pfauen prunken, möge das anzweifeln. Für die gegenwärtige Flavin-Rückschau im Deutschen Guggenheim Berlin hat sich Kuratorin J. Fiona Ragheb auf eine kleine Auswahl von Werken aus der Sammlung des Guggenheim Museums besonnen, die ihre gedankliche Zündung nicht mit Farbschwelgerei zudecken. Im ersten Raum herrscht gar mönchische Kargheit.
„Die nominale drei, für William of Ockham“ besteht aus sechs Tageslichtröhren. Sie sind an den Ecken und in der Mitte der Wand senkrecht so angebracht, dass sie die Abzählziffern von eins bis drei markieren. Eine sinnfällige Paraphrase von Ockhams nominalistische These: Real sind nur individuelle, in sich begrenzte Objekte, Universalien nichts mehr als Namen, Abstraktionen des Intellekts. Flavins Installation verballhornt den abstrakten Begriff „drei“ durch die Objektivität seiner sechs Leuchtstoffröhren – und verweist somit auf den Widerspruch zwischen dem vom Betrachter vorausgesetzten Symbolgehalt der Kunst und der erfahrbaren Tatsache der industriellen Leuchtkörper.
Diesen Widerspruch betonte der Minimalist immer wieder aufs Neue, indem er die Wahrnehmung des Betrachters in der Konstruktion seiner bildlichen Gegensätze miteinbezog. Denn faszinierend ist das Licht, das die Leuchtstoffröhren erzeugen, weil es die Grenzen des Raumes aufzulösen scheint. Dessen Ursache sind aber die in sich geschlossenen, gleichförmigen Röhren. In der Ausstellung kann man beobachten, wie spielerisch der Künstler mit den Begriffspolen Begrenzt/Unbegrenzt, Individuell/Universell umging: „grün kreuzt grün, für Piet Mondrian, dem das grün fehlte“ ist nicht bloß eine liebevolle Anspielung auf den Maler, den Flavin zum Kreis seiner künstlerischen Vorväter rechnete. Mondrians Vision einer universalen Schönheit, die die Kunst mit Hilfe mathematischer Proportionen und der primären Farben Rot, Blau, Gelb im Leben errichten sollte, stellte Flavin eine doppelte Negation entgegen. Die zwei sich überkreuzenden, grün leuchtenden Viadukte aus Plexiglaspolyedern teilen den Raum entzwei, versperren den Weg in die hintere Hälfte und zeigen die Unmöglichkeit einer künstlerischen Entgrenzung in die Lebenssphäre. Die Kunst – sie nimmt eine andere Zone für sich in Anspruch.
Zudem leuchtet das Objekt grün, weil Grün zu den primären Farben der industriellen Leuchtröhrenproduktion gehört. In der industriell verwalteten Welt erweist sich das avantgardistische Postulat universeller Kategorien als Hokuspokus.
Und doch: Unter den Vertretern der Minimal Art gilt Flavin als Hauspoet. Während Judd, Morris, Le Witt und Andre an seriell disponierten, standardisierten, geometrischen Objekten beharrlich festhielten, ließ sich der Lichtkünstler einen Ausflug ins Fantastische offen. Perplex steht man vor „Ohne Titel, für Jan und Ron Greenberg“, eine aus gelben Leuchtstoffröhren gebildete, in einem Korridor eingefasste Wand. Zum vollständigen Abschluss des Durchgangs fehlt eine Röhre, deren Platz ein grellgrüner Streifen einnimmt: ein irritierendes Vakuum, das der unumstößlichen Präsenz der Wand widerspricht.
Ab 1970 forschte Flavin an der Herstellung künstlichen Lichts unabhängig von einer elektrisierten Hülle. Offenbar drängte es ihn doch ins Jenseits der engen, industriell verwalteten Welt.
Bis zum 13. Februar 2000 im Deutschen Guggenheim Berlin, Unter den Linden 13 – 15, Mitte. Der Katalog in Deutsch oder Englisch ist für 59 DM erhältlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen