: Aufschwung mit Abweichung
Für 2000 prognostizieren die „fünf Wirtschaftsweisen“ mehr Wachstum bei fast gleicher Arbeitslosigkeit. Kritiker Kromphardt warnt vor Lohndrückerei ■ Von Beate Willms
Berlin (taz) – Ja, es geht wieder aufwärts mit der (gesamt-)deutschen Wirtschaft. Zumindest ab dem kommenden Jahr. Dies bestätigen jetzt auch die so genannten Wirtschaftsweisen in ihrem Jahresgutachten 1999/2000. Die Zahlen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Konjunktur – wie die fünf Experten offiziell genannt werden – könnten vom Herbstgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, das seit gut drei Wochen vorliegt, abgeschrieben sein: Um 2,7 Prozent wird die Wirtschaft im Jahr 2000 wachsen, fast doppelt so viel wie die für 1999 zu erwartenden 1,4 Prozent.
An der hohen Arbeitslosigkeit allerdings, auch da sind sich die mehrheitlich wirtschaftsliberalen Weisen mit den Forschern einig, wird sich nichts ändern. Die gesamtdeutsche Quote soll im Jahresdurchschnitt bei 9,9 Prozent liegen.
Hinter dem konjunkturellen Aufschwung steckt vor allem der nach der Überwindung der internationalen Finanzkrisen wieder um 6,6 Prozent zunehmende Export. Die Unternehmen werden nach Einschätzung der Sachverständigen trotz der angehobenen Leitzinsen der Europäischen Zentralbank vermehrt investieren, die privaten Haushalte dagegen keineswegs mehr, vermutlich aber immerhin gleichbleibend viel Geld ausgeben.
Um den Arbeitsmarkt in Bewegung zu bringen, reicht das alles nicht aus. „Dass wir nun auf weniger als 10 Prozent Arbeitslose hoffen können, bedeutet noch nicht die grundlegende Wende“, erklärte der Ratsvorsitzende Herbert Hax. Dieser Rückgang basiere vor allem auf demographischen Faktoren und nur „verhältnismäßig wenig“ auf dem konjukturellen Aufwind. Bei den Konsequenzen, die sie der Bundesregierung nun anraten, unterscheiden sich die fünf Weisen allerdings durchaus von den Konjunkturexperten der Wirtschaftsforschungsinstitute – und auch untereinander.
Ein zusätzliches Steuersenkungsprogramm zur Ankurbelung von Nachfrage und Investitionstätigkeit? Na gut. Eine grundsätzliche Rentenreform? Ja sicher. Eine Konsolidierungspolitik, die vor allem aus Kürzungen auf der Ausgabenseite besteht? Schon schwieriger.
Aber eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, etwa mit vereinfachten Kündigungsmöglichkeiten oder mit so genannten Standortsicherungsverträgen, die den Unternehmern ermöglichen sollen, die Mitsprache- und Entscheidungsmöglichkeiten von Betriebsrat und Gewerkschaft auszuhebeln? Das geht zumindest dem Berliner Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kromphardt, der als einziger der fünf Weisen erst nach dem Regierungswechsel in den Sachverständigenrat berufen wurde, zu weit – und in die ganz falsche Richtung.
Während seine Kollegen Hax (Köln), Jürgen Donges (Köln), Horst Siebert (Kiel), und Rolf Peffekoven (Mainz) in der rot-grünen Arbeitspolitik, in der Wiedereinführung der garantierten Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und der Rücknahme der unter Kohl verschlechterten Kündigungsschutzregel einen Rückschritt sehen, verteidigt Kromphardt sie als notwendig – nicht nur im Interesse der Beschäftigten, sondern der wirtschaftlichen Entwicklung.
Mehr Möglichkeiten für die Unternehmer, Druck auf die Beschäftigten auszuüben, so seine Argumentation, eröffne Spielraum, die Löhne nach unten zu drücken. Und niedrigere Löhne führten unweigerlich zu geringerem privaten Konsum und somit zu einer geringeren Nachfrage. Die Schmerzgrenze bei der Lohngestaltung dürfe aber nicht von betriebswirtschaftlichen Einzelinteressen bestimmt werden. Vielmehr sollten sich Löhne und Gehälter an der Steigerung der Produktivität orientieren.
Während die Gewerkschaften diese auch im Sachverständigengutachten als „abweichende Meinung“ gekennzeichnete Einschätzung Kromphardts als „einzigen vernünftigen Bestandteil des Gutachtens“ würdigten und vor Eingriffen in die Tarifautonomie warnten, freuten sich die Vertreter der Wirtschaftsverbände über die Rückendeckung durch die Ratsmehrheit.
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