Dekonstruierter Schelmenroman

■ Brecht'sches Lehrstück und dadaistischer Slapstick: Lindsay Andersons „O Lucky Man“ auf dem 4. FSK-Filmabend

Anfangs könnte man noch glauben, man befände sich in einem Film der Beatles – oder Monkees. Ein poppiger Soundtrack mit Songs von Alan Price, ein lustiger Reigen der Filmformate und Erzählebenen, anarchische Gags, Doppel- und Dreifachbesetzungen von Rollen, Stummfilmzwischentitel. Das alles schaut einen in Lindsay Andersons O Lucky Man zunächst herrlich bunt und selbstreflexiv von der Leinwand herab an.

Ein geradezu labyrinthischer Abgrund öffnet sich dann aber vor dem Auge des Betrachters in diesem grandios dekonstruierten Schelmenroman, der sich mit bösartigem Slapstick irgendwo auf halber Strecke zwischen Andersons antiautoritärem Zero de conduit-Remake If... und Woody Allens Selig eingenistet hat.

Malcom McDowell (Clockwork Orange, If...) spielt Mick Travis, einen modernen Candide, der doch, wie so viele ,unmotivierte' Helden der 70er Jahre, sich auf seiner Glückssuche allein durch eine fundamentale Passivität auszeichnet. Ob die Reise nach Norden oder Süden geht, an einen bestimmten Ort scheint sie jedenfalls nicht mehr zu führen. Zu Beginn erleben wir Travis als Kaffeevertreter einer mit allem kolonialen Pomp versehenen Handelsgesellschaft. Weil sein Lächeln so ganz und gar nicht verlogen über die Lippen kommt, wird ihm das größte und schwerste Revier zugeteilt: der Nordosten der Insel.

Dann aber überschlagen sich die Ereignisse: Auf seiner Kaffeefahrt durch das zeitgenössische England gerät er an Polizisten, die einen verunglückten Lieferwagen ausräumen, in ein Atomkraftwerk, in dem er als kommunistischer Spion verdächtigt wird, und – später – als Versuchskaninchen in eine Klinik, in der er im Nebenzimmer eine Kuh mit anoperiertem Menschenkopf vorfindet. Noch später wird er auf dieser fast dreistündigen tour de force zum speichelleckenden Assistenten eines Napalmhändlers, für den er sogar ins Gefängnis geht. Ganz am Ende wird er von Anderson für einen neuen Film gecastet.

An jeder der Veränderung ist er eigentlich immer völlig unschuldig, denn was ihn auszeichnet, wird ihm auch immer wieder zum Stolper-stein: seine Anpassungsfähigkeit. Dass das nicht moralinsauer daherkommt, sondern urkomisch, mag auch an McDowell liegen. Als der von Anderson für If... gecastet wurde, blickte er bereits lächelnd auf eine andere Karriere zurück: als Kaffeevertreter.... Tobias Nagl

heute, Metropolis, 21.15 Uhr