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Sonnenbrille reicht zur Festnahme

■  Vermummungsverbot richtet sich nicht nur gegen Bärte demonstrierender Nikoläuse. Es verpflichtet die Polizei zum Eingreifen. Grüne streben Aufhebung des Verbotes an

So ein Medienecho hat sich Oberweihnachtsmann Jörg Schöpfel nicht vorgestellt: Alle Tageszeitungen mokierten sich gestern darüber, dass die studentischen Weihnachsmänner nicht demonstrieren dürfen, weil die Rauschebärte in den Augen der Polizei eine Vermummung darstellen.

Die unfreiwillige Werbeaktion der Polizei „hat besser eingeschlagen als jede Demonstration“, freut sich Schöpfel, der bei der studentischen Arbeitsvermittlung „Heinzelmännchen“ an der Freien Universität für Weihnachtsmänner zuständig ist. Ob es an dem Medienrummel lag oder an der Einsichtsfähigkeit, mag dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall hat die Polizei gestern signalisiert, dass einer Demonstration mit Bärten doch nichts im Wege stünde, wenn diese ordungsgemäß angemeldet werde.

Dabei ist die Geschichte gar nicht so witzig, wie sie scheint. Denn sie illustriert, wie die Polizei mit dem Verbot umgeht. Seit 1989, als der Bundestag das „Artikelgesetz zur inneren Sicherheit“ verabschiedet hat, macht man sich strafbar, wenn man sich auf einer Demonstration vermummt. Nach dem Legalitätsprinzip ist die Polizei zur Verfolgung von Straftaten verpflichtet. Bis dahin handelte es sich nur um eine Ordungswidrigkeit – es lag also im freien Ermessen der Beamten, ob sie dagegen vorgehen. Um eine Vermummung handelt es sich laut Paragraf 17 a Versammlungsgesetz, wenn „eine Aufmachung dazu geeignet ist, die Festellung der Identität zu verhindern“. Die Praxis in Berlin sieht so aus, dass den Autonomen zugerechnete Gruppen schon Gefahr laufen, von der Polizei aus dem Demozug geholt zu werden, wenn sie Sonnenbrillen oder ins Gesicht gezogene Kopfbedeckungen tragen. Das alleinige Mitführen von Tüchern reichte wiederholt aus, um bei Vorkontrollen festgenommen zu werden. Mit einer Strafanzeige wegen Vermummung konfrontiert sahen sich am 3. Mai 1998 auch Teilnehmer eines Aufzuges gegen „rassistische Innenpoltik“. Sie trugen ein Transparente in Augenhöhe. Auf einem anschließenden Straßenfest wurde gar ein um den Bauch gebundener Kapuzenpulli beschlagnahmt. Nicht umsonst wird der Polizei aus dem linksalternativen Spektrum vorgeworfen, es gehe ihr gar nicht um die Vermummung, sondern darum, die Personalien von unliebsamen Gruppen festzustellen.

Der Chef der Landesschutzpolizei, Gernot Piestert, behauptet, dass die Polizei wegen des Legalitätsprinzips bei Vermummten „keinen Spielraum“ habe. Die einzige Möglichkeit sei, die Festnahmen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, weil die Lage sonst zu eskalieren drohe. Dagegen vertritt der Rechtsberater der Grünen Bundestagsfraktion, Christian Busold, die Meinung, die Polizei habe durch das in den 80er-Jahren ergangene Brokdorf-Urteil des Bundesverfasssungsgerichtes sehr wohl einen Spielraum. Das Gericht hat die Polizei verpflichtet, zwischen dem Recht auf Versammlungsfreiheit und dem Gebot der Strafverfolgung abzuwägen. Damit die Polizei sich nicht weiter durch das Legalitätsprinzip genötigt sieht, streben die Grünen laut Busold noch in dieser Legislaturperiode eine Aufhebung des Vermummungsverbots an. Das hatte schon der Justizminister der CDU-FDP Bundesregierung, Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) gefordert.

Plutonia Plarre

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