Nachtshowkrieg

■  Tatsachen stechen die Satire aus: „The Late Shift“ schildert spätnachts den Kampf der US-Talk-Giganten (RTL 2, 3.25 Uhr)

Ein Film wie dieser mag Helmut Dietl vorgeschwebt haben, als er die Kinokomödie „Late Show“ in die Welt setzte – eine vitriolhaltige Satire auf das Taktieren und Paktieren hinter den Kulissen der Fernsehunterhaltung. Die US-amerikanische Variante, bereits 1995 entstanden, besitzt gegenüber dem deutschen Versuch einen Vorzug: Der Film basiert auf Tatsachen. Seine Autoren nennen Daten und Fakten und führen die handlungstragenden Protagonisten unter ihren echten Namen.

Da ist zunächst Johnny Carson, seit nahezu 30 Jahren der König der Late-Night-Unterhaltung, der seinem Arbeitgeber NBC jährlich Einnahmen in Höhe von 70 Millionen Dollar beschert. Diese Summen wecken auch anderswo Begehrlichkeiten, namentlich bei der Senderkette CBS, wo der glücklose Moderator Pat Sajak stets das Nachsehen hatte und letztlich alten Folgen von „Kampf gegen die Mafia“ weichen musste.

Aus dieser Ausgangssituation entsteht der „Late Night Krieg“, zusätzlich dadurch befeuert, dass Johnny Carson seine „Tonight Show“ in absehbarer Zeit abzugeben gedenkt. Als sein Kronprinz gilt der talentierte David Letterman, der seit 1982 die an die „Tonight Show“ anschließende „Late Night with David Letterman“ moderiert. Da Letterman vertraglich an NBC gebunden ist, bemüht sich CBS um Jay Leno. Der Stand-up comedian mit langjähriger Bühnenerfahrung war durch Auftritte bei Letterman und als Johnny Carsons ständiger Vertreter in der „Tonight Show“ bekannt geworden.

Das attraktive Angebot von CBS gibt Lenos burschikoser Agentin Helen Kushnik die Möglichkeit, Druck auf NBC auszuüben. Mit ausgeklügelten Winkelzügen gelingt es ihr, ihrem Klienten eine Option auf die Übernahme der „Tonight Show“ zu verschaffen. Als Johnny Carson, nicht ohne Kushniks Zutun, überraschend seinen Rücktritt ankündigt, wähnt sich Letterman auf sicherem Posten – und ist entsprechend konsterniert, als er erfahren muss, dass Carsons Nachfolge längst geregelt wurde. Seine Karriere scheint in einer Sackgasse, denn sein Vertrag mit NBC macht Verhandlungen mit anderen Sendern unmöglich. Erst mit Unterstützung durch einen der mächtigsten Agenten der Unterhaltungsindustrie, Michael Ovitz, gelingt es mit einigen durchtriebenen Manövern, das Blatt zu wenden ...

„The Late Shift – Die Spätvorstellung“ entstand im Auftrag des US-Abokanals HBO nach einem Sachbuch von Bill Carter, der auch am Skript mitarbeitete. Regisseurin Betty Thomas arbeitet durch verhaltene Inszenierung die dem Geschehen eigene Komik heraus. Das Endprodukt erweist sich als Lehrstück in Sachen Fernsehen, über Strategien, Eitelkeiten, den Einfluss mächtiger Agenten, die Rolle der Presse. Von Belang ist der Film auch für ein deutsches Publikum, denn in gewisser Weise haben die dargestellten Personen hierzulande ihre Abbilder gefunden – man erinnere sich etwa an die Begleiterscheinungen, als Thomas Gottschalk von RTL zu Sat.1 wechselte.

Der mit Kathy Bates, Treat Williams und Sandra Bernhard prominent besetzten Realsatire fehlt es allerdings an den für das Programm von RTL 2 typischen Schlüsselreizen. Weshalb der Film titelgetreu auch auf einem frühmorgendlichen Sendeplatz vergeudet wird. Der echte Jay Leno übrigens ist wohlauf und witzelt in unseren Breiten täglich um 22 Uhr auf NBC Europe. Harald Keller