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Modernes AntiquariatAbschied vom Westen

■ Vor 18 Jahren erschien Bodo Morshäusers „Berliner Simulation“

Ah, da ist er also noch. Der alte Westen, der heute vergessen ist. Die „Berliner Simulation“, der Westberlin-Roman, den der damals 30-jährige Bodo Morshäuser 1983 schrieb, hat ihn aufbewahrt und gleich mit: das Lebensgefühl, das Stadtgefühl, das Generationsgefühl. Das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt begrüßte den Text damals als die „authentische Geschichte der jüngeren Generation“.

Heute bleibt vor allem ein Eindruck: Sie wird sehr schnell alt, so eine jüngere Generation. Vielleicht altert sie besonders schnell, wenn die Orte, in denen sie jung gewesen ist, verschwunden sind oder heute in anderem Kontext stehen: „In diesen Tagen führen alle Wege tsum Winterfeldtplats“, heißt es in Morshäusers Text. Das wird wohl nie wieder wahr werden.

Und es war wohl auch schon damals nicht mehr vollkommen wahr. Es endet etwas in der „Berliner Simulation“. Das Empörungsvermögen der damals jungen Generation ist aufgebraucht. Man spricht sich in Kneipen wohl noch mit der Formel an: „Sehen wir uns morgen auf der Demonstration?“, aber über die jüngste Demo sagt man knapp: „Es war wie immer.“ Westberliner Protestrituale, die hohl geworden sind. Morshäuser weiß, dass etwas an ein Ende gekommen ist. „Die Berliner Simulation“ ist der Text einer Interimsepoche, die von dem kommenden Anfang noch nichts ahnt: „Diese Stadt, aus der erst wieder eine werden muss, scheint mir, aus dem auch erst noch etwas werden muss, in jenem Moment genau die richtige für mich tsu sein.“

Der Held des Textes ist der Prototyp jener Endgeneration. Er ist, wie alle seine Mitstreiter, „nicht mehr empört“, rückt die Suche nach dem Glück an die Stelle des Politischen. Aber er ist noch über sich selbst entrüstet. Darüber, dass es möglich ist, dass „acht Häuser geräumt werden, während knapp tausend leer stehen“, und er nichts dagegen tut.

Eine Generation verabschiedet sich vom Politischen und vom früheren Westberlin. Und wohin geht sie, die „last generation“ dieser Stadt? Morshäuser dichtete: „Und ich sehe meine Generation verschwinden. / Die Besten sind tswar unter uns / aber die Besseren sind gestorben, oder abgetsogen / in den „Untergrund von mir tsu dir“ / oder sie schließen eine gepantserte Bürotür hinter sich.“

Volker Weidermann

Bodo Morshäuser: „Die Berliner Simulation“. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1983, 150 Seiten, 24 DM

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