Narziss mit Goldmund

■ Mensch – Muskel – Maschine: Henry Rollins präsentiert heute in der Fabrik sein aktuelles Spoken-Word-Album „Think Tank“

„Don't cry – work“, stand damals, Anfang der 80er Jahre, in schreiendem Gelb auf dem Backcover von Rainald Goetz' Debüt Irre.

Blieb der Literaturpunk Goetz allerdings beim Leben im Zeichen des kathartischen Intensitätskults ein schmächtiger, blondierter Spätromantiker, der an nichts mehr litt als an Trennung von Ich und Welt, gab der Schmerzensmann Rollins – oder Heinrich Roller, wie ihn die älteren Punks in meiner Heimatstadt zärtlich eingedeutscht hatten – der Askese nicht nur ihren guten Namen, sondern auch jenen Körper zurück, nach dem sich Goetz so sehnte.

Dabei mag man für Rollins Arbeitsethos einiges an Respekt aufbringen, wäre Respekt nicht schon wieder so eine Rollins-Vokabel. Mit Rick Rubin veröffentlicht er auf dem verdienstvollen Reissue-Label Infinite Zero alte Platten, präsentiert Skulpturen seines Kumpels Alan Vega oder nutzt seinen Verlag 2.13.61, um all jene dem Vergessen zu entreißen, die es verdienen. Wie Hubert Selby, der dank Rollins anerkannt als einer der größten amerikanischen Schriftsteller der Nachkriegszeit irgendwann den Löffel abgeben darf. Ab und zu steht Rollins als sprechende Schrankwand dann auch noch vor der Kamera, in Lost Highway oder Johnny Mnemonic, etwa – und in diesen ohnehin engen Timetable quetscht er alle zwei Jahre ein neues Album oder einen Poetry-Band.

Damit ist Rollins zur hardest-working Ikone des Post-Lollapalooza-Alternative-Mainstreams geworden, die mehr denn je als mediales Körperbild funktioniert, als durchtrainierte „Ein-Mann-Armee in ständiger Alarmbereitschaft“ (Joy Press/Simon Reynolds). Für den Men's Health-Narzissmus der 90er Jahre gibt Rollins, neben den Red Hot Chilli Peppers, heute fast schon das historische blueprint ab. Ein feministisch „korrigierter“ hard body, Muckis, die lesen können, eine tätowierte Ganzkörpererrektion für Zeiten, in der jeder Börsenmakler drunter wie ein Fahrradkurier aussieht. Fit for fun, der so viel Arbeit macht, wie Arbeit heute nur noch Fun ist. Tobias Nagl

heute, Fabrik, 21 Uhr