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Männer, Mythen, Menstruationen

■ Das erstmalig stattfindende Festival „intermedium“ machte am Wochenende den Themenparks der Volksbühne große Konkurrenz

Im Radio hat Elend einen Namen, und es fängt mit F an. Während die Formatkönige ihre Hörer mittels aberwitziger Gewinnspiele fürs Einschalten in totformartierte Programme bezahlen, ist die Welt außerhalb des Äthers voller neuer Sounds, die schon lange nicht mehr nach E und U fragen. In der Hörspielabteilung des Bayerischen Rundfunks sieht man das nicht anders und rekrutiert seit einiger Zeit junge Autoren und Musiker für Hörspielprojekte, die auf der Höhe aktueller Produktionsbedingungen und Hörerwartungen sind.

Mit „intermedium“ ließ der BR in Kooperation mit einigen anderen Öffentlich-Rechtlichen jetzt ein Festival in der Akademie der Künste landen, das keine Berührungsängste mit Electronica und DJs hat, Hörspiele wieder auf die Bühne zurückbringt und die Welt der Klänge selbstverständlich um visuelle Komponenten erweitert. Seit das Internet Text, Bild und Klang als gleichberechtigte digitale Informationen reintegriert, machen mediale Abgrenzungen ohnehin immer weniger Sinn.

Auf den Panels ging es daher zwangsläufig noch mal ums Ganze, nämlich Interaktion und Intermedialität, Technologie und Kunstidee. Diese Diskussionen haben bekanntermaßen einen langen Bart und kamen erst in Schwung, als Peter Weibel der Remixology Kodwo Eshuns vorwarf, letztendlich der globalen „Exploitation Industry“ in die Hände zu spielen. Dagegen würden die Helden der Netzkunst, die Weibels Reihe „net_condition“ eben zu kanonisieren sucht, für unsere Bürgerrechte kämpfen. Profunder erschien da die Anmerkung Eleanor Selfridge-Fields, dass MP3 womöglich demnächst der kulturellen Definitionsmacht der Plattenindustrie den Garaus machen wird.

Dass Theorie auch ganz anders geht, führten Thomas Meineke und Move D mit der Audio-Performance „Freuds Baby“ vor. Meineke gab den Griot eines fahrenden Seminars, das im Sinne des destruktiven Feminismus der Frage nachging, wie antisemitische Zuschreibungen, Freuds Identitätskonstrukte und seine Theoreme aufs Merkwürdigste miteinander korrespondieren. Während Meineke auf diese Weise verschüttete Mythologien durch blutende Männernasen menstruieren ließ, sorgten Moog, Platten mit Sprachloops und Karl Bergers Vibraphon für weitere Rhythmisierungen des Textes.

Dann wurde das Licht gedimmt, die Audio-Lounge in Betrieb genommen, und die ersten Joints wurden angesteckt. Aus den Monitoren flimmerten die groben Pixel der VJs von Visomat inc. zu Robert Lippoks Set, und das Publikum entsprach den Veranstalterwünschen nach Cross-over: Clubmenschen und Theaterpublikum ließen sich drinnen Bier und Brownies reichen, während draußen ein Fotograf der Street ebensolche Fashion in Form falscher Pelze fotografierte. Für einen Moment haben die Themenparks der Volksbühne Konkurrenz bekommen, und auch die Kollegen vom SFB-Hörspiel sehen leicht gestresst aus. Die Bayern haben die Messlatte für den öffentlich-rechtlichen Kulturauftrag ein gutes Stück nach oben verschoben.

Ulrich Gutmair

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