: Suicide Commando
„Danke, dass sie nicht ausbrüten!“: Der House-Produzent und Religionsstifter Chris Korda ■ Von Ted Gaier
Eine Kirche zur Dezimierung der Menschheit, digital transportierte Technologiekritik, propagierter Kannibalismus aus Veganerperspektive, Crossdressing und Antihumanismus. – Sicher, wir alle wissen, die USA sind das Werk religiöser Fanatiker. Religiöse Marotten treffen dort auf eine größere Toleranz als politische Abweichler. Die Essenz dessen, was einem aber bei Chris Korda als typischer american way of Zivilationshass um die Ohren fliegt, ist in seiner ganzen Widersprüchlichkeit eine ziemlich bemerkenswerte Angelegenheit.
Die Tatsache, dass alle 40 Minuten eine Spezies unwiederbringlich vernichtet wird, ließ Korda zu dem Schluss kommen, die Menschheit, und zwar vor allem in der ersten Welt, müsse ihre exponierte Stellung auf diesem Planeten aufgeben. Folgerichtig lautet die zentrale Forderung der von ihm und einigen Getreuen Anfang der 90er Jahre ins Leben gerufenen Church of Euthanasia „save the planet, kill youself“. Empfohlene Mittel zur Reduzierung des Menschengeschlechts sind Freitod, Sterilisation, Abtreibung, Sterbehilfe und alle lustvoll ausgeübten Sexualpraktiken, die nicht der Reproduktion dienen.
Die sexualpolitischen Schriften von Wilhelm Reich gehören neben dem Manifest des Una-Bombers zu den theoretischen Säulen der Kirche. Auch dass Korda öffentlich als Frau auftritt, will er ausdrücklich als emanzipatorischen Akt und Zeichen gegen sexuelle Determination gewertet wissen. Die Aktionen der COE erinnern eher an Strategien der Spassguerilla als an ernsthafte religiöse Riten: „Eat a queer fetus for Jesus“, „Depressed? Commit suicide“ oder „Spermfree cunts for the earth“ war auf ihren Plakaten zu lesen. Zum obligatorischen Erscheinungsbild gehören Korda im adretten Ladies-Outfit, Reverend Kim in Priesterkluft sowie eine ans Kreuz genagelte Sexpuppe, das „Beeing“.
Immer wieder ist die Church bei ihren Aktionen zwischen die Front millitanter Abtreibungsgegner und gemäßigter Befürworter geraten. Auf beiden Seiten hinterlässt sie gleichermaßen große Fragezeichen. Wie auch beim längst in die Hände der Konzerne geratenen Umweltgedenkttag „Earth day“, an dem die COE ein „human meat barbeque“ veranstaltete.
Ein gewisser religiöser Zug in der Technokultur verwundert nicht, wo sich das spirituelle Massenerlebnis an die Stelle der sprachlichen Artikulation setzt. Im Fall von Chris Korda ist die Vorgehensweise allerdings umgekehrt. Mit seiner Musik verschafft er sich über die Hintertreppe Zugang, um dann in diesem Milieu für seine ganz anders geartete Mission zu agitieren.
Als ausgebildeter Gitarrist in der Jazzszene sozialisiert, kam er erst durch seine Vorliebe für den temporären Gender-Tausch in den entsprechenden House Clubs in Kontakt mit elektronischer Musik. Auf seinem im letzten Sommer bei Gigolo Records erschienenem Deep-House-Album Six billion humans can–t be wrong sind diese beiden Einflüsse deutlich hörbar. Außergewöhnlich ist sein Umgang mit Stimmen. Meist schälen sich aus rhythmisierten Lauten irgendwann Worte und Sätze, die dann plötzlich ganz deutliche, semantische Bedeutungen transportieren: Chicken-flesh, human-flesh, pig-flesh what's the difference, pass the catch-up!
Abgesehen von Chris Korda – in seiner weiblichen Bühnenexistenz irgendwo zwischen Demi Moore, Juliette Greco und durchgedrehter Sekretärin –, werden heute Abend noch andere elektronische Abweichler in Erscheinung treten. Als weiterer Live-Act das nervöse Hamburger Duo Ego Express, das eben mit der fulminanten, abgezockten Discoscheibe Bieker durchgestartet ist, sowie die beiden DJs Tobias Thomas aus dem Kölner KompaktStall und der Mann für universelle Fälle DJ Koze aus HH.
heute, Hafenklang, 21 Uhr
Ted Gaier ist selbst Musiker, u.a. bei den Goldenen Zitronen,
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen