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Alleinunterhalter sind out

Damit Schüler in Zukunft mehr Teamgeist lernen, sollen sich die Lehrer im Unterricht zurückhalten. Ein entsprechendes Modellprojekt läuft bereits an vier Berliner Schulen    ■ Von Julia Naumann

Es klingelt. Die Sozialkunde-Stunde beginnt. In der 10. Klasse des Ernst-Abbe-Gymnasiums herrscht Durcheinander: Ein Schüler wirft mit Papierkugeln, zwei streiten sich lautstark. „Du blöder Arsch“, hallt es wütend durch den Raum. Andere sitzen tratschend auf den Tischen, mit den Schuhen auf den Stühlen. In diesem Chaos Ordnung und Konzentration zu vermitteln, muss ein schwerer Job für die Lehrerin sein. Und beibringen soll sie den Jugendlichen auch noch etwas.

Doch Lehrerin Erdmute Safranski schafft beides. Nicht, indem die ehemalige GEW-Sprecherin belehrend zur Ruhe mahnt. Nicht, indem sie den nächstbesten Schüler mit strenger Miene nach dem Stoff der vergangenen Stunde fragt. Nicht, indem sie dozierend den Stoff der jetzigen Stunde vorstellt.

Das Thema heute: Die Einführung des Euro. Erdmute Safranski braucht nur leicht in die Hände zu klatschen, dann wird es still. Sie hält keinen einführenden Vortrag, fragt die Schüler nicht, was sie schon über den Euro wissen. Stattdessen verteilt die Lehrerin an die 23 Jugendlichen Zettel mit den wichtigsten Informationen über die neue Währung. Insgesamt sind es vier Papiere, sie sind unterschiedlich strukturiert. Einige sind schwerer, die anderen leichter zu verstehen. Wer welches Papier bekommt, ist Zufall. Jeder Schüler soll nun in 10 Minuten die wichtigsten Informationen mit einem Textmarker unterstreichen.

Erdmute Safranski hält sich unterdessen zurück. Ab und zu läuft sie durch den Klassenraum, guckt den SchülerInnen über die Schulter, sitzt sonst an ihrem Pult. Und auch im nächsten Stundenabschnitt tritt sie nicht in Aktion, denn die Jugendlichen arbeiten in Kleingruppen: Die SchülerInnen mit den jeweils gleichen Papieren setzen sich zusammen, erklären und erzählen sich gegenseitig die wichtigsten Informationen des Textes.

Selbst beim dritten Unterrichtsabschnitt hat Erdmute Safranski nicht viel zu tun. Die Gruppen werden – willkürlich – neu gemischt. Jetzt sitzen SchülerInnen mit unterschiedlichen Papieren zusammen. Jede Gruppe soll ein „Gesamtprodukt“ über den Euro entwerfen, alle Informationen bündeln. Das kann ein Vortrag, aber auch ein gemaltes Plakat sein.

Was sich so spielerisch und simpel anhört, ist eine neue Lernmethode, die sich zukünftig an immer mehr Schulen durchsetzen soll, und bei der SchülerInnen anders als bisher gefordert werden.

Es handelt sich dabei um das Projekt „Pädagogische Schulentwicklung“, das auf den Ideen des Bildungsreformers Heinz Klippert beruht. Der Diplom-Ökonom, Dozent am Lehrerfortbildungsinstitut der Evangelischen Kirche Rheinland-Pfalz, ist davon überzeugt, dass die derzeit voherrschenden Unterrichtsstrukturen völlig umgekrempelt werden müssen.

Traditionelle Methoden wie der Frontalunterricht, bei der der Lehrer als Alleinunterhalter an der Tafel steht und die SchülerInnen zuhören (oder auch nicht), zögen nicht mehr. „Weil die Kinder eine immer schlechtere Aufnahmebereitschaft zeigen, brauchen die Lehrer neue Methoden“, fordert Klippert.

Und das heißt für Erdmute Safranski an der Ernst-Abbe-Schule vor allen Dingen Zurückhaltung. „Normalerweise beträgt der Redeanteil eines Lehrers 80 bis 90 Prozent einer Schulstunde“, hat Safranski, auch bei sich selbst, beobachtet. In dieser Sozialkunde-Stunde zum Thema Euro hat sie kaum ein Wort gesagt. Die Kinder lernen trotzdem. „Früher hat der Lehrer strukturiert, dominiert, gemanagt“, sagt Safranski. Heute müssten Kinder und Jugendliche vor allen Dingen Selbstständigkeit, Teamgeist und Kommunikationsfähigkeit erlernen.

Die neuen Methoden werden derzeit an vier Berliner Schulen in einem Modellprojekt erprobt, am Ernst-Abbe-Gymnasium und der Fritz-Karsen-Gesamtschule in Neukölln, an der Friedrich-Bayer-Realschule in Steglitz und der Hugo-Gaudig-Realschule in Tempelhof.

Die Schulverwaltung hat die Relevanz der Klippertschen Methode erkannt und finanziert zwei Stellen für LehrerInnen am Berliner Institut für Lehrerfort und -weiterbildung (BIL), die an den vier Modellschulen seit Anfang des Jahres die Lehrkräfte ausbilden. Ab Januar werden 30 weitere LehrerInnen direkt von Klippert geschult. Sie sollen an 20 weiteren Schulen wirken.

Die „Klippert-LehrerInnen“ bringen SchülerInnen in einem Methodentraining bei, wie sie aus der Fülle von Informationen die wichtigen herausfiltern oder sie mit einem Zeitbudget zurechtkommen. Um künftig besser kommunizieren zu können, müssen sie vor der Klasse Vorträge halten und Diskussionen moderieren. Auch Teamarbeit wird in Kleingruppen geschult.

Der Lehrer bleibt im Hintergrund: „Er oder sie steht nicht mehr im Mittelpunkt der Klasse, und das ist für viele sehr schwierig“, sagt Barbara Duske-Mernberger vom BIL. Das gängige Selbstbildnis werde zerstört: Nicht mehr Imperator sein, sondern Moderator.

Für die SchülerInnen bedeuten die neuen Unterrichtsmethoden jedoch wesentlich mehr Aktivität. „Die Jugendlichen müssen unglaublich viel arbeiten, aber sie lernen auch mehr“, ist Duske-Mernberger überzeugt. Das sieht auch der 18-jährige Sanjee vom Ernst-Abbe-Gymnasium so: „Wir haben mehr zu tun, aber es ist kurzweiliger“, sagt er. Durch die Gruppenarbeit würde mehr Stoff „hängenbleiben“.

Während der Teamarbeit können die Schüler nicht abschalten, sich keine Blöße geben – die Gruppen werden ständig neu gemischt. Vom Spielerischen bleibt nicht viel über, denn Noten werden genauso wie im herkömmlichen Unterricht gegeben: Das „Endprodukt“, das Plakat oder die Stellwand, wird der ganzen Klasse vorgestellt. Es gibt eine Zensur für das Team und eine Zensur für den Präsentator. Der wird aber erst kurz vorher von der Lehrerin bestimmt.

Weil die Klippertsche Methode zu mehr Leistung und Eigeninitiative anspornen soll, ist auch die Wirtschaft an den neuen Unterrichtsmethoden interessiert. „Die Unternehmen fordern Team- und Kommunikationsfähigkeit von ihren Auszubildenden“, sagt Duske-Mernberger. Wer das bereits in der Schule gelernt habe, habe auf dem Arbeitsmarkt wesentlich bessere Chancen, hat sie erfahren. So hat Siemens Heinz Klippert bereits mehrere Male zu Vorträgen eingeladen. Das Unternehmen will zukünftig Patenschaften für Schulklassen übernehmen, die nach Klippert unterrichten.

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