: Reis – für Japan eine Prinzipienfrage
Reisbauern und Telekommunikationsfirmen müssen beim WTO-Treffen in Seattle Zugeständisse machen ■ Aus Tokio André Kunz
In landwirtschaftlichen Fragen reist Japan als Verbündeter der Europäischen Union zum Treffen der Welthandelsorganisation (WTO) nach Seattle. Landwirtschaftsminister Tokuichiro Tamazawa und der Verband der Landwirtschaftskooperativen wollen die „Multifunktionalität der Landwirtschaft“ in das WTO-Schlussdokument integrieren. Davon würden Nippons Reisbauern profitieren, die heute nur dank Subventionen, hohen Preisen und noch höheren Importtarifen für ausländischen Reis überleben können.
Die Reisfrage ist für die Japaner eine Grundsatzfrage. Von den 10 Millionen Tonnen Reis, die das Land im Jahre 1998 konsumiert hat, sind gerade mal 640.000 Tonnen aus dem Ausland gekommen. Die USA, Australien und China sind die wichtigsten Reisexporteure nach Japan, und sie verlangen eine Senkung der Importtarife, die seit April 1999 pro Kilo 351 Yen – 6,30 Mark – betragen. Japan hatte sich anlässlich der Uruguay-Runde des Gatt im Jahre 1993 verpflichtet, den Anteil von importiertem Reis bis zum Jahr 2000 auf 8 Prozent zu erhöhen. Bei 6,4 Prozent ist das Land inzwischen angelangt, und schon das hat zum Untergang vieler Reisbauern rund um die großen Agglomerationen der Städte geführt. Heute sind noch rund 3 Prozent der Bevölkerung im Reisbau tätig, davon rund zwei Drittel in Nebenbeschäftigung.
Nun pocht Japan auf andere wichtige Funktionen dieser Teilzeit-Reisbauern. Sie erhöhten die Lebensqualität in urbanen Gebieten und übernähmen auch wichtige Landschafts- und Umweltschutzaufgaben. Dafür war ein Umdenken unter Japans Bauern notwendig, die bis vor wenigen Jahren als Weltmeister im Düngen und Pestizidspritzen bekannt waren. Der organische Landbau ist eindeutig im Vormarsch. Außerdem werden auch die teuren Vertriebsnetze laufend verschlankt. Trotzdem kostet ein Kilo Reis in Tokio im Schnitt immer noch 10,60 Mark. Die Konsumenten nehmen die exorbitanten Preise aus emotionalen Gründen aber auf sich, weil „der japanische Reis eben unvergleichlich schmackhaft sei“, wie Umfrageresultate es immer wieder belegen.
Große Fortschritte für eine weitere Öffnung des japanischen Reismarktes sind also nicht zu erwarten, genauso wenige wie Kompromisse in der Frage über genmanipulierte Agrarprodukte aus Japan. Das Land hat erst kürzlich eine verschärfte Deklarationspflicht eingeführt, und Konsumentenorganisationen warnen vor dem Verzehr von Gentech-Produkten, die vor allem Sojabohnen und Mais aus US-amerikanischer Produktion betreffen.
Eine Auseinandersetzung mit den USA steht auch im klassischen Industriezweig der Stahlproduktion an. Japan reichte Mitte November einen Protest gegen eine Dumping-Klage der US-Regierung bei der WTO ein. Diese Klage betrifft Stahlexporte Japans in die USA im vergangenen Jahr, die bedingt durch die Yen-Schwäche unverhältnismäßig zunahmen. Obwohl die Exporte seit Oktober 98 stetig fallen und inzwischen wieder auf dem Niveau von 1996 sind, haben die USA rückwirkend Strafzölle auf Nippons Stahlprodukte belegt. Für die ohnehin angeschlagenen Stahlkonzerne sind diese erhöhten Zölle zusammen mit den starken Yen eine doppelte Belastung geworden. Gegen die umstrittenen Anti-Dumping-Regeln der USA kämpft Japan im Verband mit Südkorea, Russland, Mexiko und Brasilien.
Diese beiden Streitpunkte in den klassischen Wirtschaftsbranchen überschatten andere positive Seiten der nächsten WTO-Runde für Japan. Unbestritten ist, dass Japan wahrscheinlich mehr profitiert von der Einigung der USA mit China als die USA selbst. Japanische Konzerne haben die China-Karte schon seit längerem gespielt und sind mit Investitionen von rund 20 Milliarden Dollar mit den USA gleichgezogen. Besonders die japanischen Konsumelektronik- und Autoproduzenten erwarten einen besseren Zugang ihrer Produkte auf dem chinesischen Markt. Nur am Rande wird wahrscheinlich die wichtige Öffnung des japanischen Telekommunikations- und Finanzmarktes erwähnt. Obwohl noch Handlungsbedarf besteht, ist Japan für ausländische Wettbewerber viel besser zugänglich als noch vor einem Jahr, und Deregulierungsschritte in den nächsten beiden Jahren werden auch den Zugang zu elektronischem Handel und Finanzdienstleistungen über Internet erleichtern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen