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Indonesiens Machtkampf eskaliert

Bericht über Menschenrechtsverletzungen in Aceh und der Kurs gegenüber der Region heizen Streit zwischen Reformkräften der Regierung und dem Militär an  ■   Von Jutta Lietsch

Bangkok (taz) – Die junge indonesische Regierung schlittert unaufhaltsam in einen gefährlichen Machtkampf mit dem Militär. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes musste sich gestern ein früherer Armeechef und noch heute amtierender Minister vor dem Parlament verantworten: Begleitet von führenden Militärs erschien der frühere Verteidigungsminister und Generalstabschef Wiranto am Nachmittag vor den Mitgliedern des Menschenrechtsausschusses, um zu Vorwürfen über Armeegräuel in der Unruheprovinz Aceh auszusagen.

Zuvor hatte eine von der Regierung beauftragte Untersuchungskommission einen 500-seitigen Report vorgelegt, in dem detaillierte Zeugenberichte über Morde, Folter, Vergewaltigungen und andere Verbrechen der Militärs in Aceh seit Ende der 80er-Jahre aufgeführt sind. 5000 Menschen kamen dortseitdem um oder blieben bis heute verschwunden.

Für Wiranto, der seit Oktober Minister für Politik und Sicherheit ist, war der gestrige Tag eine ungeheure Erniedrigung: Er musste sich anhören, wie er von Abgeordneten als „Lügner“ und „Versager“ beschimpft wurde, weil er die Gewalt nicht gestoppt hatte, nachdem er im Frühjahr 1998 Armeechef wurde. Er bezeichnete die in dem Bericht aufgeführten Fälle als übertrieben. Die Armee behauptet, die Untaten seien das persönliche Fehlverhalten einzelner Soldaten. Die Kommission hingegen befand, die Einschüchterungspolitik sei „von oben“ befohlen worden.

Am Konflikt um Aceh droht das demokratische Experiment in Indonesien zu scheitern, das vor 18 Monaten mit dem erzwungenen Rücktritt des alten Diktators Suharto begann. Die Mehrheit der Acehnesen fordert ein Referendum über die Unabhängigkeit. Präsident Abdurrahman Wahid will in der Provinz am Nordzipfel der Insel Sumatra jedoch nur über die Einführung des islamischen Scharia-Rechts abstimmen lassen. Die Unruhe wächst.

Die Armee drängt nun auf die Wiedereinführung des Militärrechts in Aceh, um die Region in den Griff zu bekommen. Örtliche Kommandanten verlangen Ausgangssperren. Über 800 der berüchtigten mobilen Polizeibrigaden sind bereits wieder in Aceh gelandet, obwohl Wahid versprochen hatte, dort künftig nur reguläre Truppen zu stationieren. Wahid lehnt zwar das Kriegsrecht ab, doch seine Position ist schwach. In Militärkreisen mehren sich seit Tagen die Stimmen, die vor einem möglichen Putsch warnen.

Dazu kommt: Selbst Anhänger des Präsidenten sind ratlos und verärgert, weil Wahid seit seinem Amtsantritt vor vier Wochen wie der Fliegende Holländer durch die Welt reist, statt sich zu Hause um Aceh zu kümmern – von der maroden Wirtschaft und anderen Problemen ganz zu schweigen. Derzeit ist er im Nahen Osten, übermorgen zieht es ihn zum Asean-Gipfel auf die Philippinen, Anfang Dezember will er nach China reisen. Auf den Philippinen hat der für seine Unberechenbarkeit bekannte Politiker etwas ganz Besonderes vor: Er kündigte der fassungslosen Öffentlichkeit an, er wolle dort zwischen muslimischen Separatisten der Regierung vermitteln.

In Indonesiens Militär wächst indessen die Wut über die Vorstellung, von Zivilisten wegen Aceh oder Osttimor bestraft zu werden. Die Angriffe kommen Schlag auf Schlag: Die nationale Menschenrechtskommission hat inzwischen sogar angekündigt, dass sie mehrere Armeechefs der Suharto-Ära für Verbrechen in Osttimor zur Verantwortung ziehen will. Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Generäle dies gefallen lassen.

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