: Nichtstun ist supersexy
■ Barry White und „Earth, Wind & Fire“ stimulierten diverse Drüsen in der Stadthalle
Eigentlich hätte diese Konzertkritk viel besser in die Sex-Taz vom Samstag gepasst, denn Barry White ist nun mal der erfolgreichste akustische Vibrator des internationalen Showbusiness. Wenn er selber sagt, zu seiner Musik wären mehr Kinder gezeugt worden als zu jeder anderen, ist das weniger geprahlt als realistisch bewertet, und sein Auftritt am Freitag Abend in der Bremer Stadthalle bewies einmal mehr, dass es bei seinen Songs mehr um Hormone als um Harmonien geht. Auch wenn die schwarze Disco-Band „Earth, Wind and Fire“ musikalisch eindeutig den besseren Set ablieferte, indem sie ihre schönen alten Hits aus den 80er Jahren in einer perfekten Show a la Las Vegas präsentierte, war sie doch eindeutig nur dazu da, das Publikum in Stimmung zu bringen, sodass Mr. White schon mit dem ersten Brummer alle Säfte zum Fließen brachte.
In wallendem Designer-Gewand, mit coolem Bart und Zopf sowie Zähnen, die so leuchten, als würden sie aus dem Mund heraus beleuchtet (den Amis ist ja alles zuzutrauen) singt White seine Songs voller „Ecstasy“, „Makin' Love Together“ oder „I Love You Lying Next to Me“ mit dieser einmaligen Stimme, die auch seine völlig banalen Ansagen (nichts als „love“, „happy to be ...“, „very special ...“ usw.) zu erotischen Großleistungen werden lässt. Dabei ist es völlig egal, dass alle Lieder im Grunde gleich klingen und dass Mr. White sich eher zu langweilen scheint. Wie er da extrem faul über die Bühne schlurft, macht ihn nur noch lasziver. Wohl kaum einer tut dort so wenig wie er. Wenn er sich mit seinem schwarzen Handtuch den Schweiß abwischt, ist das schon ein dramaturgischer Höhepunkt, aber gerade deshalb wirkt er so sexy wie eine schwere, schwarze, majestätische Katze.
Und diese Wirkung drückt er dem Publikum mit allen möglichen Tricks unter die Haut. Seine Band (“The Love Unlimited Orchestra“, was denn sonst?) ist noch aufwendiger besetzt als die von „Earth, Wind & Fire“. Aber während diese ihre zwei Drummer, zwei Perkussionisten, zwei Keyboarder, zwei Bassisten, zwei Leadsänger usw. auch wirklich bis zum Limit aufdrehen lässt, sind bei White die 14 Streicher, die Keyboarderin mit dem tiefen Dekolleté und die Rhythmusgitarristin, die aussieht wie Pam Grier, nur zum Ansehen da. Von den Streichern hört man keinen Ton, der nicht so platt und synthetisch ist, dass er nicht auch von einem Synthesizer hätte kommen können (vielleicht saßen ja tatsächlich nur Statisten an stummen Instrumenten, wie gesagt, den Amis ist alles zuzutrauen!). Auch sonst spielen die fast 30 Musiker auf der Bühne die Arrangements so perfektionistisch und seelenlos herunter, dass sie geradezu wie die Perversion einer Life-Band wirken. Die Musik wird hier radikal auf die eine Funktion reduziert, und so ist es schließlich auch nur konsequent, wenn Barry White nach dem letzten Höhepunkt seines größten Hits ohne Verbeugung oder Zugabe abrupt die Bühne verlässt. Die Zigarette danach kann das Bremer Publikum ja auch ohne ihn rauchen. Wilfried Hippen
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