: Tschetschenen schlagen zurück
■ Kämpfer erobern Dörfer. Grosny weiter unter Dauerbeschuss. Grenze zu Inguschetien wird erneut geschlossen. OSZE-Chef verhandelt in Moskau über Mission ins Krisengebiet
Grosny/Moskau (AFP/AP/dpa) – Zwei Monate nach Beginn ihres Krieges in Tschetschenien stößt die russische Armee auf wachsenden Widerstand. Tschetschenische Kämpfer eroberten gestern das Dorf Noibera rund 50 Kilometer östlich von Grosny. Am Sonntag hatten sie das Dorf Nowogrosnenski besetzt, das die Russen gestern nach eigenen Angaben aber zurückeroberten.
Der Vize-Chef des russischen Generalstabes, Waleri Manilow, gab erstmals ernstere Verluste der Streitkräfte zu: Bei einem Kampf in der Nähe von Wedeno, dem Stützpunkt des Rebellenchefs Schamil Bassajew, seien zwölf Fallschirmjäger getötet und zwei gefangen genommen worden. Ein tschetschenischer Kämpfer hatte berichtet, mehr als 200 russische Soldaten seien bei Wedeno getötet worden.
Gleichzeitig setzten russische Truppen ihre Angriffe auf die tschetschenische Hauptstadt Grosny fort. Gestern beschossen sie eine Hauptstraße und mehrere Wohnviertel. Bürgermeister Letscha Dudajew sprach am Wochenende von 260 Todesopfern, die der Beschuss von Grosny bisher gefordert habe. Die Zahl könne auch doppelt so hoch sein. Auch gestern gab es Augenzeugen zufolge wieder Tote. Zahlreiche Häuser wurden zerbombt, die Menschen versteckten sich in Kellern.
Zugleich wurde die Grenze zwischen Tschetschenien und Inguschetien geschlossen. An dem Übergang bildete sich eine kilometerlange Schlange wartender Menschen. Der stellvertretende Ministerpräsident Nikolai Koschman sagte im russischen Fernsehsender NTW, für die Flüchtlinge solle in Grosny ein sicherer Korridor errichtet werden.
Gestern traf der Vorsitzende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Knut Vollebäk, in Moskau ein. Dort sprach er mit Außenminister Igor Iwanow über eine bevorstehende Reise seiner Organisation ins Krisengebiet.
Unterdessen verurteilte der russische Finanzminister Michail Kassjanow Aussagen des Chefs des Internationalen Währungsfonds (IWF), Michel Camdessus. Die Offensive in der Kaukasusrepublik dürfe keinen Einfluss auf Kredite des IWF haben. Camdessus hatte am Wochenende gesagt, der Krieg habe dem internationalen Ansehen Russlands geschadet. Kassjanow sagte, der IWF sei keine politische Organisation. Er räumte zwar ein, dass zusätzliche Steuereinnahmen der Regierung aus gestiegenen Ölpreisen für das Militär verwendet würden, dies geschehe aber in so unbedeutendem Maß, dass der IWF wegen der Einhaltung der Kreditvorgaben nicht beunruhigt sein sollte.
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