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Ein irrer Stern am Firmament

■ Die Video-Künstlerin Marikke Heinz-Hoek hat den Wettbewerb um das Mahnmal für die Bremer Opfer der NS-Psychiatrie gewonnen. Ihr Entwurf ist jetzt zu sehen

Irrstern ist ein schönes Wort. Eines, das an den großen, unergründlich weiten Himmel über uns denken lässt. An eigensinnige Kometen, die ihre ewigen Bahnen ziehen und immer wieder mal sehen, wie es denn zugeht unten auf der Erde. Eines, das dem wunderlichen Dichter Friedrich Hölderlin außerordentlich gefiel und durch sein Werk geistert. Und bald auch eines, das an die Opfer der NS-Psychiatrie in Bremen erinnern wird.

Mindestens 2600 PsychiatriepatientInnen wurden in der Bremer Nervenklinik am östlichen Stadtrand sterilisiert. Mehr als 700 haben das Ende des Krieges nicht mehr erlebt. Zu einem kleinen Teil wurden sie in Bremen umgebracht, die allermeisten aber in psychiatrischen Tötungsanstalten wie Hadamar oder Meseritz/Obrawalde ermordet.

Dort, wo sich einst die Bremer Nervenklinik fand, steht heute das Zentralkrankenhaus Bremen-Ost. Seit 1989 widmet sich das Krankenhaus-Museum der Psychiatriegeschichte. Gemeinsam mit einem Kreis von Angehörigen der NS-Psychiatrieopfer wurde in diesem Frühjahr ein künstlerischer Wettbewerb ausgeschrieben, der den Bremer NS-Opfern ein Mahnmal bringen sollte.

Die Jury entschied sich einstimmig für den Vorschlag der Bremer Video-Künstlerin Marrike Heinz-Hoek. Der „Irrstern“ spielt eine zentrale Rolle in ihrem Entwurf, der gemeinsam mit den fünf anderen Wettbewerbsbeiträgen als Modell bis zum 5. Dezember im Krankenhaus-Museum zu sehen ist. In großen Lettern prangt das Hölderlin-Wort auf einer 2,40 Meter hohen und 3,40 Meter langen, in einen Stahlrahmen eingefassten Granitplatte, die von einem Ständer gehalten wird und als Installation unter freiem Himmel konzipiert ist. Zu diesem überdimensionierten Fotorahmen gesellt sich eine Videoinstallation für einen Innenraum. Während die eine Hälfte des Monitors die regungslos ineinander verschränkten Hände eines alten Menschen zeigt, die alle paar Minuten die Position wechseln, sind nebenan Porträts von Männern und Frauen zu sehen, die der NS-Psychiatrie zum Opfer fielen.

Marrike Heinz Hoek hat sie in einem Überblendungsverfahren so aneinander montiert, dass das Auftauchen des einen Fotos unmittelbar das Verschwinden des anderen Fotos zur Folge hat – eine Endlosschleife, die in den Antlitzen der getöteten Menschen zugleich ihr unwiederbringliches Verschwinden sinnfällig in Erinnerung ruft. Hoeks unpathetischer Vorschlag grenzt sich durch seine vielen Assoziationen Raum gebende offene Form von den anderen Wettbewerbsentwürfen ab, die dem Mahnmal zumeist durch starke Symbolik (leere Stühle als Platzhalter für jene Menschen, die fehlen) oder wuchtige Inschriften („Das Recht auf Leben“) eine eindeutigere Ausrichtung verleihen wollten.

Bis zum 30. Mai des kommenden Jahres wird der Entwurf von Marrike Heinz-Hoek auf dem Gelände des Krankenhauses realisiert. Das Modell wird dann dauerhaft im Bremer Gesundheitsamt zu sehen sein. Die weiteren Wettbewerbsbeiträge stammen von Via Lewandowsky (Berlin), Raoul Marek (Paris), Renata Stih/Frieder Schnock (Berlin), Yuji Takeoka (Düsseldorf) und Timm Ulrichs (Münster).

zott/Foto: Nikolai Wolff

Bis zum 5. Dezember im Krankenhaus-Museum (Züricher Straße 40) zu sehen. Öffnungszeiten: mittwochs bis sonntags von 15-18 Uhr. Außerdem können spezielle Öffnungszeiten unter der Telefonnummer 408 17 57 vereinbart werden

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