: Ruandischer Mörderpater vor Gericht
In Frankreich wird erstmals ein Pfarrer angeklagt, der in Ruanda Gemeindemitglieder an die Hutu-Milizen verraten haben soll / Katholische Kirche geht von Unschuld aus ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Angetan mit einer schußsicheren Weste und mit einer Pistole am Gurt paradierte Pater Wenceslas Munyeshyaka in den Monaten April und Mai 1994 durch seine Kirche, die „Heilige Familie“ in Kigali. Dutzende von Tutsis, die sich vor den Massakern in seinen Schutz geflüchtet hatten, wurden dort von Hutu-Milizen ermordet. Jetzt steht der Pater unter Verdacht, gemeinsame Sache mit den Mördern gemacht zu haben. Die französische Polizei holte ihn in der kleinen Kirchengemeinde in Bourg-Saint-Andéol im Ardèche ab, wo er seit vergangenen Dezember predigt. Die Vorwürfe: Völkermord, Mittäterschaft beim Völkermord, Folter und unmenschliche Behandlung.
Monatelang hatten nach Frankreich geflohene Überlebende der Massaker in Ruanda und Menschenrechtsorganisationen Beweismaterial gegen den Pater gesammelt. Unter anderem widmete die Organisation „African Rights“ ihm in ihrem im vergangenen Jahr vorgelegten 700-Seiten-Bericht über den Völkermord ein langes Kapitel. Der internationale Gerichtshof in Den Haag, der über die Kriegsverbrechen in Ruanda urteilt, hat ihn in seine Anklageschrift aufgenommen.
Die Liste der Vorwürfe gegen den Pater ist lang: Vor allem soll er Namen seiner Schutzbefohlenen an die Hutu-Milizen weitergegeben haben, die anschließend ihre Opfer in der Kirche abholten oder gleich an Ort und Stelle mit der Machete ermordeten. Er soll junge Frauen zum Sex gezwungen haben, um sie nicht auszuliefern. Und er soll bewaffnet mit Hutu-Milizionären auf den Straßen von Kigali unterwegs gewesen sein.
Eine Überlebende, die ihre ganze Familie verlor, berichtete, daß man ihr vor der Flucht geraten hatte, ihre ethnische Identität vor dem Pater geheimzuhalten. Eine Mutter, die heute in Frankreich lebt, war dabei, als ihre 17jährige Tochter von Hutu-Milizionären ermordet wurde. Der Pater hatte den Flüchtlingen in seiner Gemeinde die bevorstehende „Racheaktion“ angekündigt. Als das Mädchen ihn auf Knien um Schutz anflehte, lehnte er diesen mit der Begründung ab, sie habe sich ihm verweigert.
Zeugen berichten, wie Hutu- Milizen mit Namenslisten in die Kirche kamen – Listen, die der Pater erstellt haben soll. Die französischen Anwälte des Paters bestreiten jegliche Schuld ihres Mandanten. Er habe vielmehr, sagen sie, zahlreiche Menschenleben gerettet. Sie bezeichnen ihn als Opfer eines politischen Komplotts – hinter den Zeugenaussagen steckten materielle und machtpolitische Interessen.
Von der Unschuld des Paters geht auch die Hierarchie der katholischen Kirche in Frankreich aus. Der Pater habe – unter Einsatz seines Lebens – sowohl Tutsi als auch Hutu gerettet, sagen seine Fürsprecher in der Ardèche, die hinter den Vorwürfen eine Intrige gegen die Kirche vermuten. Ohne die Vermittlung der katholischen Kirche wäre Pater Wenceslas Munyeshyaka überhaupt nicht nach Frankreich gekommen. Nach dem Sieg der RPF (Ruandische Patriotische Front) im Sommer 1994 war er zunächst mit dem großen Hutu- Flüchtlingstreck nach Zaire gekommen, wo er mehrere Monate blieb. Dort erhielt er die Einladung nach Frankreich, in die Gemeinde im Ardèche, wo er bis Ende Juli arbeitete. Die Regierung stellte ihm ein Visum für zweijährige Studien aus. Die Empfehlung der Erzdiözese von Kigali habe den Ausschlag dafür gegeben, heißt es im Außenministerium in Paris.
Noch nie ist in Frankreich jemand wegen Kriegsverbrechen festgenommen und vor Gericht gestellt worden, die er in einem anderen Land begangen hat. Grundlage für diesen Fall ist ein Gesetz aus dem Jahr 1985, das seinerseits auf einer internationalen Konvention zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit basiert. Danach können die Ermittlungen zu einem Gerichtsverfahren mit eventueller Verurteilung in Frankreich geführt werden.
Die französische Regierung geht jedoch davon aus, daß Pater Wenceslas Munyeshyaka vor das Ruanda-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag kommen wird. Im Herbst wird sich das französische Parlament mit dieser Institution befassen und voraussichtlich ihre Arbeit gesetzlich anerkennen. Damit wäre der Weg für die Überführung des Paters frei.
Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens und von dem Land, in dem es stattfindet, betrachten Menschenrechtsorganisationen die Ermittlungen gegen den Pater schon jetzt als einen Forschritt. Für zahlreiche andere nach Frankreich geflüchtete Kriegsbeteiligte dürfte daraus ein Präzedenzfall werden. Henri Leclerc, Präsident der französischen „Liga für Menschenrechte“, spricht von einer „Bresche im Prinzip der Straffreiheit für Kriegsverbrecher“ und einem „Ende des ruhigen Exils“.
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