: „Ich brauche diese Narbe“
Nadja Galwas hatte Brustkrebs. Jetzt will sie leben. Und zwar mit aller Lust. Sie weiß endlich, was sie will, und dass die Menschen ihre Geschenke sehr wohl haben wollen ■ Von Sandra Wilsdorf
Sie hat einen Vertrag mit dem Leben geschlossen: „Ich feiere dieses Lebensfest, unabhängig von den Gästen“, hat sie sich darin versprochen. „Da wusste ich, ich habe diese Krankheit überstanden“. Den Krebs, der Nadja Galwas eine Brust und fast das Leben gekostet hat.
Sie ist 28, als sie beim Telefonieren einen Knubbel in ihrer rechten Brust fühlt. Eine Ärztin sagt: „Das ist nichts, ich schicke Sie nicht mal zum Röntgen.“
Die zweite Frauenärztin sagt: „Sie sind viel zu jung für Krebs, aber wenn sie unbedingt wollen, gehen Sie zur Mammographie“. Nadja Galwas will. „Sofort operieren“, sagt die Radiologin. „Ist es Krebs?“ „Weiß ich nicht“. Und weil Nadja es doch nicht wirklich wissen will, vergräbt sie sich und die Wischiwaschi-Diagnose zu Hause. „Aber dann rief meine Gynäkologin an und hat Druck gemacht.“ Nadja reagiert mit Gegendruck und mit Verdrängen. „Ich war gut drauf.“ Sie trommelt, konsultiert Heilerinnen, lässt sich Horoskope schreiben. Obwohl sie Eis und Pommes liebt, fastet sie und versucht sich als Veganerin. Zehn Monate ist sie auf der Flucht vor der Wahrheit.
„In den Hintern treten, selbst wenn man dabei Grenzen überschreitet“, rät sie heute allen, die in Familie oder Freundekreis so eine Flucht beobachten. Eine Heilpraktikerin lässt sie schließlich an sich heran. „Die hat mir klar gemacht, dass es um Leben und Tod geht.“ Das lässt Nadja wieder weglaufen. Aber sie kommt zurück. Da ist der Tumor schon fast doppelt so groß wie bei der ersten Untersuchung, und der Lymphknoten unter ihrem rechten Arm ist groß wie ein Tennisball.
Nach der dritten Mammographie: Nadja sitzt oben ohne im Sprechzimmer, und der Arzt dreht ihr den Rücken zu, als er sagt: „Kein Zweifel, es ist Krebs. Das metastasiert ja schon.“ Warum sie jetzt erst komme. Und: „Wahrscheinlich braucht man Ihnen die Brust nicht mal mehr abzunehmen.“ Anziehen, Diagnose einpacken, „gehen Sie durch den Hinterausgang raus“, und dann steht sie auf einer vierspurigen Straße. „Wäre meine Freundin nicht bei mir gewesen, hätte ich mich vors Auto geworfen.“
„Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie“, sagt die Heilpraktikerin. Mit Mistelspritzen und Aufräumen: „Ich sollte herausfinden, was ich will und das so fühlbar machen, dass ich dafür leben will.“ Zehn Tage nimmt Nadja in ihrem Zimmer jeden einzelnen Gegenstand in die Hand und fragt sich, ob sie ihn noch will. „Ich habe acht Mülltüten weggeschleppt.“ Auch einige Freunde hat sie entsorgt. Und sich einen Schemel mit drei Beinen gebaut. Für jedes Bein eine Lebensfrage: „Wo ist mein Ort, wo ist meine Sippe, auf welchem Pferd reite ich?“ Und plötzlich ist ihr klar: „Ich will leben, und ich will mit Lust leben.“
Aber erst muss sie ihre Brust verabschieden, sie entscheidet sich dabei für ein Krankenhaus in Würzburg. „Das war phantastisch.“ Keine Vorwürfe, nur Verständnis. Als die Brust ab ist, fühlt sie sich erleichtert: „Die ganze Scheisse war weg.“ Nach zehn zermürbenden Tagen die Diagnose: Keine Metastasen. Sie übersteht auch noch ein halbes Jahr Chemotherapie.
Jetzt ist Nadja Galwas 33. Sie ist eine schöne Frau. Keine Barbie, sondern eine Persönlichkeit. Sie strahlt Leben aus, wirkt stark und so, als verfüge sie über einen riesigen Vorrat von Energie. Manchmal funkeln ihre Augen, sie wirft mit Gesten um sich, lacht laut, redet viel und schnell. Aber es wirkt genauso authentisch, wenn sie einen Gang runterschaltet, die tiefe Stimme Nachdenkliches formuliert, die Augen dabei nicht funkeln, sondern leuchten. Sie ist präsent, kommt rüber.
„Klar hätte ich gerne eine Spontanheilung gehabt, aber irgendwie brauche ich diese Narbe“, sagt sie heute. Denn „wahrscheinlich hätte ich sonst einfach so weitergemacht mit meinem Leben“. Wäre weiter weggelaufen und hätte nicht gewusst, was sie will. Und jetzt? „Ich traue mich zu träumen, und ich baue meine Träume.“ Einer davon ist, zum Film zu gehen. Und weil ihr noch niemand eine Rolle angeboten hat, schafft sie sich eine. „Ich plane das Drehbuch zu einer Tragikkomödie zum Thema „Heilung und Wunder sind alltäglich“. In ihrem Leben spielt sie jetzt die Hauptrolle, „trotzdem ist in meinem Herzen noch viel Platz für andere“.
Früher war sie die Hälfte des Clown-Comedy-Duos „Keule à Violine“, und auf der Bühne zu stehen, war ein Hobby. Heute ist sie Schauspielerin und macht eine Ausbildung an der Schule für Theater und Tanz mit Schwerpunkt Komik in Hannover. Außerdem organisiert sie im Altonaer Stadtteilzentrum Haus 3 kulturelle Veranstaltungen für Frauen und Lesben. Im Anti-Brustkrebs-Monat Oktober und im November war es eine Reihe mit dem Titel „Dem Horror begegnen – der Heilung Gestalt geben“.
Und Nadja Galwas zeigt sich. Für den Stern war sie oben ohne auf dem Titel, auf einem zweiten Foto trägt sie nichts als rote Boxhandschuhe, einen Slip und ungeheure Lebenslust. Seitdem buhlen die Medien um sie, und sie genießt es. „Mich so zu zeigen, war eine Befreiung“.
Najda Galwas lebt allein und hat trotzdem das Gefühl, gebraucht zu werden. Das war mal anders. „Früher glaubte ich oft, ich bin mit einem Haufen Geschenke auf die Welt gekommen, und niemand will sie haben.“ Sie kann jetzt sagen, was sie kaputt, und was sie wieder heil gemacht hat. „Es gibt dabei keine Schuld, sondern nur Beteiligung. Ich habe an meinem Knoten mitgestrickt, so wie viele und vieles andere auch.“ Jetzt strickt sie ein anderes Muster. Denn sie will leben. Mit aller Lust.
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