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Retter im Paragraphen-Krampf: Die AGAB hilft im Zweifelsfall

■ Seit fast einem Vierteljahrhundert bietet die Aktionsgemeinschaft arbeitsloser BürgerInnen rechtliche Beratung für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger / Juristen leiten zur Durchsetzung von Rechten an

Katja S. hat eine Pechsträhne: Erst wurde sie in ihrer Wohnung überfallen und beraubt. Jetzt hat das Sozialamt sämtliche Zahlungen an sie und ihren Mann eingestellt. Einfach so, ohne Bescheid.

Erst auf Nachfrage kommt vom Amt die Mitteilung: Beide hätten seit Jahren irrtümlich Sozialhilfe erhalten. Die Begründung: Wer wie die beiden eine Ausbildung an einer Fachschule macht, habe keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Die Zahlung wurde deshalb mit sofortiger Wirkung gestoppt. Nur: Wer soll jetzt die Miete bezahlen? Wie sollen die Rechnungen für Gas und Strom beglichen werden? „Zum Glück habe ich die Weihnachtsgeschenke für meinen Mann schon gekauft“, sagt die Achtzehnjährige.

Von ihrer Mutter bekam die junge Frau den Tipp, sich bei der AGAB (siehe Kasten) beraten zu lassen. In deren Waller Beratungszentrum sitzt sie nun am großen Tisch, an dem mehrere Beratungen gleichzeitig durchgeführt werden. So sehen die von Arbeitslosigkeit Betroffenen immer, dass sie nicht allein stehen, sondern andere dieselben Probleme haben wie sie. Wer Diskretion wünscht, kann aber auch Einzelberatung in einem der Büros erhalten.

Gitta Barufke hört Katja S. genau zu. Sie fragt eine Reihe von Details nach, jedoch nicht nach dem Namen. Als sich herausstellt, dass die zierliche Frau ihre Ausbildung kürzlich abgebrochen hat, weil sie der Arbeit körperlich nicht gewachsen war, wird die Beraterin hellhörig: Damit ist schon einmal klar, dass die junge Frau selbst wieder Anspruch auf Sozialhilfe hat. Die AGAB-Juristin rät ihr, sich die Zweifel ihrer Ausbilder an ihrer körperlichen Eignung bescheinigen zu lassen. Wenn sie die Ausbildung mutwillig beendet hätte, könnte das Sozialamt die Leistungen kürzen.

Für den Ehemann von Katja S. sieht es dagegen schlecht aus, weil er nach wie vor in der Ausbildung ist. Gitta Barufke ärgert sich: „Da ist die Rechtslage bitterhart: Du kriegst Sozialhilfe, wenn Du untätig zu Hause sitzt. Wenn Du eine Ausbildung machst, kriegst Du sie nicht.“ Auch nachdem das Sozialamt dem jungen Mann irrtümlich mehr als drei Jahre lang seine Ausbildung finanziert hat, ist es nicht zu einer Fortsetzung der Zahlungen verpflichtet. Und das, obwohl ihm nicht einmal mehr zwei Monate bis zur Abschlussprüfung fehlen und er schon die ersten Bewerbungen geschrieben hat.

Damit er nicht so kurz vor Schluss die Ausbildung abbrechen muss, will Gitta Barufke an das Sozialamt appellieren, eine Ausnahme zu machen. Sie wird Katja S. zum Amt begleiten und ihr bei der Argumentation helfen. „Normalerweise machen wir das nicht, sondern erklären unseren Klienten ihre Rechte und ermutigen sie dann dazu, sie selbst durchzusetzen. Aber in so schwierigen Fällen gehen wir mit, wenn die Zeit es zulässt“, sagt die Beraterin.

Das ist oft nicht der Fall. Auch jetzt, kurz vor Ende der Beratungszeit, ist der Arbeitslosentreffpunkt mit Ratsuchenden gut gefüllt. Fast alle sind eigentlich über ihre Rechte weitgehend informiert. Sie haben sich aber ausgesprochen komplizierte Fragen notiert: Was passiert, wenn ich beim Antrag auf Arbeitslosenhilfe vergessen habe, einen Freistellungsauftrag anzugeben? Wieviel Vermögen darf ich haben? Oder: Kann ich beim Sozialamt Weihnachtsgeld beantragen, auch wenn ich auf die aufstockende Sozialhilfe wegen Geringfügigkeit verzichtet habe. Muss ich einen ABM-Job annehmen, der weniger als zwölf Monate dauert? Wie verhindere ich, hinterher schlechter gestellt zu werden als vorher?“ – „Ganz normale Fälle,“ sagt Gitta Barufke, „die Gesetze sind nun einmal derart kompliziert, dass sie für die Betroffenen schwer durchschaubar sind“.

Auch die erfahrenen Rechtsberater, fast alle schon seit zehn Jahren bei der AGAB tätig, müssen immer wieder Gesetzbücher wälzen. Danach geben sie Ratschläge im Sinne der Betroffenen. Das kann im Einzelfall schon mal gegen die Position des Sozialamts gehen. „Manche erhalten durch unsere Beratung Leistungen, die sie sonst nicht durchgesetzt hätten. Andererseits erspart unsere Vermittlung eine Menge Konflikte. Für eine qualifizierte Beratung hat das Sozialamt oft gar keine Zeit. Manche schicken sogar Leute zu uns“, sagt Ursula Stielike von der Geschäftsführung des Arbeitslosen-Zentrums.

Vielleicht findet sich auch für den Mann von Katja S. eine Lösung. Ansonsten weiß das Paar jetzt, dass es wenigstens die halbe Miete bezahlen kann. not

Arbeitslosen-Zentrum der AGAB, Grenzstr. 122, Tel. 39 52 -97 / -50. Beratung: Mo. und Do. von 9 bis 13 Uhr, Di. von 15 bis 18 Uhr, Mi. (nur für Frauen) von 9 bis 13 Uhr, Mi. (telefonisch) von 10 bis 12 Uhr.

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