Revolutionärer Ohrenputzer

■ Der Komponist Klaus Huber ist 75 geworden. In der Galerie Rabus und im Rathaus wird er morgen mit Konzerten geehrt

„Ein Tag für Klaus Huber“: Das ist sicher kein Ereignis für ein Massenpublikum, aber ein bedeutendes in der Sache. Der seit fünf Jahren in Bremen lebende Schweizer Komponist Klaus Huber ist in dieser Woche 75 Jahre alt geworden. Ein bedenkenswertes Ereignis für alle, die Kunst machen und sie rezipieren. Denn wenn einer die Überzeugung aufrecht hält, dass Ästhetik politischer und moralischer Motivation entspringt, dass der Spagat und Bruch zwischen Kunst und Wirklichkeit ein stets neu und häufig schmerzhaft auszuhaltender ist, dann ist es Klaus Huber.

„Ich versuche“, beschreibt der Jubilar sein Selbstverständnis, „in der Musik, die ich mache, das Bewusstsein meiner Zeitgenossen, die wie wir alle zu schlafenden Kom-plizen weltweiter Ausbeutung geworden sind, hier und jetzt zu erreichen, zu wecken.“ Hubers Anspruch an sein Publikum ist unbescheiden. „Ich will ihr Denken und ihr Fühlen aufbrechen, erschüttern. Gerade um so viel, dass das Prinzip Hoffnung am Horizont aufzudämmern vermag – die konkrete Utopie: die Veränderung der Zukunft durch die Gegenwart.“

Als Professor für Komposition in Freiburg und Leiter des von ihm gegründeten Instituts für zeitgenössische Musik hat Klaus Huber mit seiner Haltung zwei Generationen von Komponisten geprägt. Seine Wirkung lässt sich nur mit der von Olivier Messiaen in Frankreich vergleichen. Sie gewinnt angesichts zunehmend unpolitischen und beliebigen Denkens an Stellenwert um so mehr, als im Werk Hubers nicht nur der moralische Appell markiert wird – das wäre zu wenig – , sondern die Entwicklung und die Technik der Komposition auf das Strengste befragt und gestaltet wird. Gegen die Bezeichnung „Bekenntnismusik“ für sein Schaffen wehrt er sich nicht – „sofern man bereit ist, darunter nichts Subjektivistisches zu verstehen“.

Hubers musikalisches Denken operiert mit dreierlei „Materialien“. Es nimmt vielfältig auf historische Musik Bezug – wie in den „Lamentationes Sacrae et Profanae ad Responsoria Iesualdi“, in denen er sich auf den großen Karwochenzyklus des Renaissancekomponis-ten Carlo Gesualdo bezieht. Mittelalterliche Schriften inspirieren ihn in gleicher Weise wie zeitgenössische Texte. Huber bezieht sich in seinen Kompositionen auf die Bibel ebenso selbstverständlich wie auf die Schriften des nicaraguanischen Revolutionärs Ernesto Cardenal, orientiert sich am Werk der Sozialistin und Mystikerin Simone Weill oder, wie in seinem Streichtrio „Des Dichters Pflug“, an der archetypischen Bilderwelt des Dichters Ossip Mandelstam. In der jüngsten Vergangenheit sucht er immer mehr nach Verinnerlichung und Differenzierungen der Klanglichkeit: darin nicht unähnlich dem Spätwerk des Freundes Luigi Nono (beispielhaft dafür die „lentissimo“ und „pianissimo“-Einleitung von „Umkehr – im Licht sein“ (1997)). Dieses programmatische Bestreben hat Huber kontinuierlich weitergetrieben und dabei musikalische Konventionen hinter sich gelassen. Er setzte sich in den letzten Jahren mit außereuropäischen Tonsystemen auseinander und durch sie mit Mikrotonalität und Dritteltönigkeit. Im Streichquintett „Ecce Homines“ hat Huber die schwebende Dritteltönigkeit mit der arabischen Dreivierteltönigkeit konfrontiert. Die Gründe hierfür – endgültig ausgelöst durch die antiarabische Propaganda während des Golfkrieges – sind kein materialer Selbstzweck. Huber bekämpft, indem er uns derartig die „Ohren putzt“, den europäischen Kulturimperialismus ebenso wie alle Erscheinungen einer sogenannten Weltmusik am Ende dieses Jahrtausends. Denn es geht ihm um „die Interaktion der so reichen wie verschiedenartigen Musikkulturen unseres Planeten, so lange es diese noch gibt ...“.

„Ästhetik des Widerstands“ – in Diskussionen und Schriften Klaus Hubers ist der Romantitel von Peter Weiss immer wieder aufgetaucht und hat seinen stärksten Niederschlag gefunden im politischen Oratorium „Erniedrigt-Geknechtet-Verlassen-Verachtet...“: „Steht alle auf, auch die Toten“, schreibt Huber über den vierten Satz dieses Hauptwerkes der 80er Jahre.

Klaus Huber – fünfundsiebzig Jahre alt und damit über fünfzig Jahre aufmerksame und stets aufgeregte Zeitzeugenschaft dieses Jahrhunderts, für deren nun bremische Präsenz wir dankbar sind. Sonntag um 11 Uhr spielt das „Ensemble Recherche“ in der Galerie Katrin Rabus das Streichtrio „Des Dichters Pflug. In Memoriam Ossip Mandelstam“, „Transpositio ad infinitum“ für Cello solo, „L'Ombre de notre Ûge“ für Kammerensemble und das Streichtrio KV 563 von Mozart, den Klaus Huber für einen hochpolitischen Komponisten hält. Nach einem gemeinsamen Imbiss in der Galerie stellt der Herausgeber Max Nyffeler das soeben erschienene Buch „Klaus Huber: Umgepflügte Zeit. Schriften und Gespräche“ vor. Um 17.30 Uhr geht–s im Rathaus weiter: mit einer Laudatio von Nicolas Schalz von der Hochschule für Künste und einem Konzert von „Les Jeunes Solistes“ aus Paris. Sie interpretieren die „Lamentationes“ und singen auch die Originalkompositionen von Carlo Gesualdo. Ute Schalz-Laurenze