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Vom Weiterwirken

■ Nach 35 geht nichts mehr - Drei AutorInnen, die derzeit im LCB ein StipendiatInnenleben führen, im Gespräch über ihre Literatur, die Zeit und das Geld

Mir scheint“, so der in Zürich lebende Tim Krohn, „daß deutsche Schriftsteller vereinzelter sind. In der Schweiz gibt es Zusammenschlüsse junger Autoren, zum Beispiel die Gruppe ,Netz‘, die für so etwas wie eine neue Erzählgeneration steht. Da ist man im Schriftstellerverband integriert und bekommt seine Mitteilungsblätter.“ Man müsse eigentlich einen Manager haben, der die ganzen Termine der Ausschreibungen, der Stipendienbewerbungen etc. im Kopf hat, meinen die deutschen Jungautorinnen Ulrike Dreasner und Cornelia Manikowsky.

Als Gäste des Literarischen Colloquiums werden die drei momentan von Ulrich Janetzki betreut, dem Geschäftsführer und Juror des Nachwuchsstipendiats. Insgesamt sechs StipendiatInnen bewohnen ein möbliertes Zimmer im traditionsreichen Haus am Wannsee und werden mit 2.000 Mark Unterhalt bezuschußt. Sorgenfreies literarisches Schaffen soll so ermöglicht werden. In der Kürze der Zeit (3 bis 5 Monate) wird hauptsächlich Liegengebliebenes überarbeitet oder am gerade entstehenden Werk weitergestrickt. Janetzki ist offen für alles, will aber auch keinen „stören“. „Von mir aus kann ein Stipendiat auch drei Monate hier auf dem Wannsee rudern, vielleicht kommt dann in ein paar Jahren ein Buch.“

Das Stipendium wird vom Kultursenat finanziert und an schreibende NichtberlinerInnen vergeben, die nicht älter als 35 sind. „Nach 35 geht nichts mehr.“ „Entweder man hat es bis dahin geschafft, oder man muß jobben gehen“, bestätigten die drei AutorInnen. Der Jury, der dieses Jahr Ulrich Janetzki, Brigitte Schreier- Endler und Cornelia Geissler angehörten, lagen 37 Anträge vor. Sie entschieden sich für zwei Schweizer: Perikles Monioudis und Tim Krohn, zwei Österreicher: Radek Knapp und Raoul Schrott, sowie zwei Deutsche, Ulrike Dreasner aus München und Cornelia Manikowsky aus Hamburg. Außer Dreasner, die jetzt bei Suhrkamp ihr lyrisches Debüt gibt, haben alle bereits ihre Erstveröffentlichung hinter sich. Wir sprachen mit Krohn, Dreasner und Manikowsky.

taz: Gibt es so etwas wie Initiationserlebnisse?

Dreasner: Ich erinnere mich an eine Szene, da stand ich mit unserem Nachbarsmädchen vor der Haustür meines Elternhauses. Da lag so eine Umzugskiste oder ein Baustellenschild meines Vaters. Wir waren beide ungefähr fünf Jahre alt und starrten auf diese Buchstaben. Dann fing sie an, das zu lesen, und ich starrte immer weiter und dachte: Wo steht das? Es war eine Art Zauber. Ich las unglaublich viel, und mehr oder minder fing ich gleichzeitig auch an, Sachen aufzuschreiben.

Manikowsky: Auch bei mir fing es mit sechs, sieben an. Ich las sehr viel und fing dann an, die Schulbibliothek systematisch von links nach rechts aufzuarbeiten.

Dreasner: Bei mir war es die Leihbibliothek des Ortes. Das Kinderregal war ausgelesen, und da bin ich einfach ans nächste Regal gegangen. Da standen die russischen Romane, und die waren wunderbar dick. Ich habe später viel Tagebuch geschrieben, kleine Szenen notiert. Dann fing ich an Jura zu studieren, ging Jahr für Jahr nach England. Als ich zurückkam, begann ich Gedichte zu schreiben. Ganz wenige zuerst. Ich promovierte in Anglistik und hatte eine Zeitlang die Vorstellung, ich könnte das verbinden, an der Uni bleiben und gleichzeitig schreiben. Aber die Wissenschaft hat meine ganze Schreibkraft aufgezehrt. Vor zwei Jahren kündigte ich an der Uni, arbeitete als Reiseleiterin und in anderen Jobs. Meine ganze Identität war plötzlich weg. Zwei Monate später kam jedoch meine erste Veröffentlichung. Endlich wurde ich sichtbar mit dem, was ich für mich ja schon so viel länger war.

War das ein Bruch, ein Gefühl, sich zu entblößen?

Dreasner: Eher eine Entlastung. Anfangs war ich mir sehr unsicher. Ist das vielleicht etwas, was wieder vorbeigeht? Aber als ich etwas verschickte, wurde das sofort gedruckt. Im April hatte ich gekündigt, und im Laufe des Jahres stabilisierte sich mein Leben auch von außen.

Manikowsky: Mir war immer klar, daß es letztlich das ist, was ich machen will: schreiben. Nachdem ich als Kind schon unheimlich viel schrieb, es aber niemandem zeigte, fing ich erst wieder Anfang zwanzig an, und da dauerte es sehr lange, den Mut zu haben, das ernst nehmen zu können. Manchmal denke ich: ein typisches Frauenphänomen. Das Germanistik- und Geschichtsstudium unterlief ich konsequent mit dem Schreiben. Dann kam die erste Veröffentlichung. Momentan überlege ich ständig, wie ich das bloß finanzieren soll. Ich gebe pro Monat ungefähr ein Wochenseminar an der Uni Hamburg, Erwachsenenbildung. Aber diese eine Woche ist schon jedesmal eine große Zäsur.

Krohn: Ich habe als Teenager Kurzgeschichten geschrieben, die habe ich verschenkt. Vor allem aber war ich Musiker, spielte Baßklarinette und Saxophon, komponierte. Mit 20 veröffentlichte ich meinen ersten Text, ein Hörspiel. Ich hatte nie im Leben ein Hörspiel gehört. Ziemlich fahrlässig, aber weil das Schweizer Radio auch fahrlässig ist, wurde das dann auch produziert. „Johann und Johanna“ – eine Paraphrase auf den Woyzeck-Prozeß.

Vor drei Jahren hing ich alles an den Nagel, um zu schreiben. Bei mir lief es eigentlich sehr gut, ich habe Hörspiele gemacht, Theater für freie Gruppen, habe auch selber inszeniert im Laienbereich. Ich hatte dauernd irgend etwas veröffentlicht und bis dato ganz gut Geld verdient mit Schreiben. Auch über Preise. Erst jetzt, wo ich einigermaßen erfolgreich bin, geht das Geld aus.

Momentan tingele ich rum, von einem Ort zum anderen, um irgendwo Ruhe zu finden und das Geld aufzutreiben. Ich war jetzt in Solothurn, um an einem Roman zu arbeiten, bin jetzt hier in Berlin und war zuvor in Pforzheim. Das ist jetzt wirklich der Roman, für den ich mich von einer Gratislogis zur anderen hangele.

Wie würdest du deine Texte beschreiben?

Dreasner: Mein erstes Buch, jetzt bei Suhrkamp erschienen, ist ein Gedichtband, „gedankenschleifen“. Schleifen auch im Sinne von Einfräsen. Wie die Dinge, die vergangen sind, weiterwirken. Ein entscheidendes Thema für mich ist alles, was mit Tod und Körper zusammenhängt. Fleisch, Blut, Gehirn, Körperflüssigkeiten: Speichel, Sperma, Kommunikation über Körperflüssigkeiten und Tod in allen Variationen.

Krohn: Überraschenderweise ist mein Hauptthema ein ganz ähnliches: Die Konfrontation des Menschen als biologisches Wesen mit dem als kulturellem. Das geschieht meist im Körperlichen. Ich habe ein Buch übers Kochen geschrieben. Kochen ist ja eigentlich nur, eine biologische Substanz durch kulturellen Eingriff zu transformieren. Dieser Grenzbereich, der sich natürlich auch sehr stark in der Sexualität abspielt, da werkele ich immer drum herum. In Mainz läuft gerade ein Theaterstück von mir, wo es um vier Frauen in einer Klinik geht, die zuviel Körperflüssigkeiten ausscheiden. Es spielt im Jahr 2030 in Manhattan. Es hat eine sehr überdrehte Show.

Schaust du viel Fernsehen?

Krohn: Ich besitze gar keinen. Ich bin Kinofan. Das Theater liebe ich als Idee, ich hasse es, wenn ich es sehe. Theater interessiert mich jedoch viel mehr als Prosa. Es ist einfach menschlicher. Ich mag das nicht gern, so isoliert, monatelang, jahrelang am Schreibtisch zu sitzen und irgendwann einmal was abzugeben, ein nettes Gespräch mit einem Lektor zu haben und drei oder vielleicht auch dreißig Rezensionen. Vielleicht noch ein paar Lesungen. Und das ist es dann. Das ist nicht die Art von Arbeit, die mich glücklich macht.

Manikowsky: Die Rhythmisierung der Sprache spielt für mich eine ganz entscheidende Rolle. In den Rezensionen stand ständig etwas von Gewalt drin. Das Buch, das 1996 bei Rotbuch erscheinen wird, „Rosa, Rosa“, ist die Geschichte einer Frau, die sich durchaus lustvoll selbst zerstört. Momentan mache ich kürzere Prosatexte, die ganz stark das Moment der Zeit und der Wahrnehmung der Zeit thematisieren.

Wie entstehen die Texte?

Manikowsky: Um irgend etwas schreiben zu können, muß ich ein Ziel haben. Auf der anderen Seite ist im Schreiben selber immer eine Dynamik drin, die dieses Ziel aussetzt. Am Anfang stehen Bilder.

Krohn: Bei mir sind Themen am Anfang. Bei dem Romanprojekt jetzt ging ich von den Marktmechanismen des Sozialismus und Kapitalismus aus und wie das Verbrechen da integriert ist. John Gay schrieb vor 250 Jahren die Vorlage zur Dreigroschenoper und auch eine Fortsetzung, die ich übersetzt und überarbeitet habe und ins heutige Ostdeutschland transferiert. Ich sammle unheimlich viel Material, streife lange durch Bibliotheken und brauche es nachher nie. Irgendwann habe ich dann das Gefühl, jetzt habe ich soviel gelesen, jetzt darf ich.

Dreasner: Für mich ist das einer Fährte nachgehen. Hunde können das nur, wenn sie die Spur immer mal wieder verlieren. Es ist ein Zickzackweg.

Krohn: Ich bin fahrlässig mit dem Schreiben, schreibe hemmungslos über Themen, von denen ich keine Ahnung habe. Meine Texte bestehen immer aus Splittern. Ich vermeide eine homogene, ungebrochene Schreibart. Mir reichen sechs bis acht Wochen am Stück, da weiß ich, da kann ich schon was Anständiges machen. In Berlin arbeite ich einfach weiter. Ich bin nicht das erste Mal hier. Ich wehre mich auch dagegen, Berlin als Faszinosum anzusehen. Ich will hier wirklich arbeiten. Ich will von Berlin nicht viel sehen, außer Theater.

Dreasner: Also ich schon. Ich will sehen, wie der Osten aussieht. Im Vergleich zu München ist es sehr, sehr anders. Die Geschichte sickert hier aus allen Ritzen. Die Stadt ist viel rauher, viel wirklicher. Über die Baustellen will ich rumstreunen. Was dann als Autorin mit mir passiert, ist völlig offen. Lyrik entsteht immer aus Bildern, aus Wortfetzen, die man aufschnappt.

Dreasner schreibt mit Computer, Manikowsky alles mit der Hand, Krohn kauft sich für jeden Text eine eigene Schreibmaschine.

Alle drei, so fanden sie heraus, gehen nach Berlin noch ins Stuttgarter Literatendomizil Schloß Solitude. Ein Stipendium kommt anscheinend selten allein. Interview: Kirsten Longin

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