: Bayerns vierte Schülerschublade
■ Beinahe-Attentat in Metten rechtfertigt weitere Schule: die für Verhaltensauffällige
Nürnberg (taz) – Wenn Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber von neuen Eliten träumt und sich selbst als Speerspitze im grenzenlosen Bildungswettbewerb wähnt, dann schreitet daheim in München Kultusministerin Monika Hohlmeier zur Tat. Sie will das streng dreigliedrige Schulsystem im Freistaat „unten“ um eine weitere Stufe erweitern: Nach dem von Schülern geplanten Lehrermord im niederbayerischen Metten, sollen „kriminelle Kinder und Jugendliche“ nicht mehr länger die leistungswilligen Buben und Mädchen stören, sondern aus dem Klassenverband entfernt und in Spezialschulen geschickt werden.
Der Attentatsversuch kommt der Ministerin gelegen, um der aufgeheizten bayerischen Debatte um die Schulstruktur eine andere Richtung zu geben. Die Einführung einer landesweiten sechsstufigen Realschule ab der 4. Klasse hatte bei der Landtagsopposition und verschiedenen Eltern- und Lehrerverbänden Widerstand ausgelöst. Was bisher für Gymnasien gilt – schon im zarten Alter von zehn Jahren wird über die Schullaufbahn entschieden –, soll nun auch beim Wechsel in die Realschule wahr werden. Nur mit einem Notendurchschnitt von 2,33 in Deutsch, Mathematik und Heimat- beziehungsweise Sachkunde ist die Flucht aus der Hauptschule nach der 4. Klasse noch möglich.
Gegen die Pläne haben der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) und die GEW Bayerns ein Volksbegehren „Bessere Schulreform“ initiiert. Die erste Stufe wurde am Freitag geschafft. Im Frühjahr müssen sich nun 880.000 Wahlberechtigte in Listen eintragen, um das Plebszit gegen die sechsstufige Realschule und für eine Orientierungsstufe in der 5. und 6. Klasse möglich zu machen.
Längst geht es aber um mehr als die Form der neuen Realschule. CSU-Generalsekretär Thomas Goppel wittert „bildungspolitische Gleichmacherei“. Die Kultusministerin, die dem eigenen Schulsystem nicht so recht traut und ihre eigenen Kinder auf Waldorfschulen schickt, wähnt den „Schulfrieden“ und „Bayerns Spitzenposition im Bildungswesen in Gefahr“. Dass Bayern bei den Klassenstärken bundesweit Schlusslicht ist und über 130.000 Schülerinnen und Schüler in Klassen über 30 sitzen, tut sie achselzuckend ab. Dass der Freistaat bundesweit die höchste Hauptschülerquote (38,3 Prozent) hat und nur 17 Prozent eines Jahrgangs das Abitur machen, stört sie noch weniger. Das ist Programm.
Nur die Besten sollen schließlich das Abitur machen, und wenn es nach Landesvater Stoiber geht, ist das immer noch zu viel. Er möchte am liebsten die allgemeine Hochschulreife zusätzlich verschärfen und plädiert für fünf statt wie bisher vier Pflichtfächer für das Zentralabitur sowie für eine Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre.
In den Schubladen der kultusministeriellen Sachbearbeiter in München schlummern noch ganz andere Pläne: Nur noch mit einem Schnitt von 2,0 soll das Gymnasium offen stehen. Die Auslese soll so weit verschärft werden, dass der Hauptschulanteil auf über 45 Prozent steigt. „Sachgerechte Weiterentwicklung des gegliederten Schulwesens“ heißt das im Bürokratendeutsch.
Jetzt steht noch eine Weiterentwicklung an. Wenn schon die kleinen „Mehmets“ und andere ausländische Rabauken des Landes verwiesen werden, warum sollen dann nicht auch „gewalttätige Kids“ aus den Regelschulen fliegen? Ausgrenzen statt integrieren, heißt hier wie auch beispielsweise beim Ausschluss von behinderten Kindern aus den Regelschulen das Programm. Da der Unterricht und das Klima an den Schulen nicht von „extrem gefährdeten und teilweise bereits kriminellen Persönlichkeiten“ gestört werden dürften, sollen diese, so Hohlmeier, „aus dem Klassenverband genommen und einer Therapie zugeführt“ werden. 28 solcher Spezialschulen mit rund 1.900 Schüler, die es bereits gibt, reichten dafür nicht aus. Schon nächste Woche will Hohlmeier daher mit den bayerischen Kommunen über ihren Plan beraten.
BLLV-Chef Dannhäuser hält von derlei Ausschlussverfahren nichts. „Das kuriert nur das Symptom, setzt aber nicht bei den Ursachen an.“ Er macht für schulische Amokläufe und Ausraster mangelnde vorbeugende Arbeit an den Schulen verantwortlich. „Erziehung ist kein Abfallprodukt der Wissensvermittlung“, betont er und mahnt eine Erweiterung des schulischen Blickfelds über Zeugnisse, Übertrittsnoten und Unterrichtsstoff hinaus an. Streitkultur einüben, Selbstständigkeit und Verantwortung fördern, hält er für „die wichtigste Aufgabe“. Doch genau das geschieht in Bayern nicht. In keinem anderen Bundesland gibt es eine derart rigide Zensur von Schülerzeitungen. Schülervertretungen heißen im Freistaat „Schülermitverantwortung“, haben nichts zu sagen und sind schon längst zu einem reinen Partyservice verkommen.
Bernd Siegler
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