: Mini-Schröders Weg nach oben
Oberbürgermeister von Potsdam – eine Zwischenstation für Matthias Platzeck. Er will mitreden. Jetzt kandidiert der Hoffnungsträger Ost für den SPD-Bundesvorstand ■ Von Manuela Thieme
Exakter Scheitel, geblümter Schlips, die Hemdsärmel hochgekrempelt. Der Aktenstapel auf dem Schreibtisch ist höher als die Mineralwasserflasche daneben. Blass und erschöpft sitzt Matthias Platzeck in seinem Büro. Im Hintergrund läuft Barockmusik. „Ich brauche das zur Entspannung“, sagt Potsdams Oberbürgermeister. Der Tag war schon lang, und er wird noch eine Weile dauern. „Die Arbeit hier ist extrem anstrengend, aber sie macht mir riesigen Spaß“, versichert der 45-Jährige, als wüsste er, dass er zumindest im Moment einen ganz anderen Eindruck vermittelt.
Seit gut einem Jahr ist Brandenburgs ehemaliger Umweltminister Rathauschef der Landeshauptstadt. Die SPD brauchte damals einen beliebten Politiker, um den Posten für die Partei zu retten. Mit dem Vorgänger hätten die Sozialdemokraten keine Chance mehr gehabt. Platzeck, nach seinem glanzvollen Einsatz beim Oder-Hochwasser gerade auf dem Popularitätshoch, stellte sich zur Verfügung und gewann mit einem Traumergebnis. 63,5 Prozent bekam er im ersten Durchgang. Heute soll der Potsdamer auf dem SPD-Parteitag in den Bundesvorstand aufrücken. Die ostdeutschen Sozialdemokraten wollen sich mit dem profilierten Kopf mehr Gehör verschaffen.
Platzeck selbst kann das Angebot nur recht sein, denn die Geschäftigkeit in einer Kommune erleichtert nicht gerade die Teilnahme an den Debatten der Zeit. Parkplätze, Wasserrohrbrüche oder Baugenehmigungen verdrängen Diskussionen um Globalisierung, Gerechtigkeit oder Ökologie. Das Angebot zur Kandidatur scheint ihm daher sehr gelegen zu kommen. Der Mann, der eben noch matt und müde wirkte, wird beim Stichwort Parteiaufstieg plötzlich richtig munter. Was er auch sagt, es ist Vorfreude pur. Das erste Hurra auf den Parteivorstand: „Ich drehe nun mal gern mit an großen Rädern.“ Nummer zwei: „Ich habe den Drang, die Klappe aufzumachen, und dafür ist dieses Gremium eine gute Gelegenheit.“ Und drittens: „Da ist alles versammelt, was in der Partei Rang und Namen hat, einen kürzeren Dienstweg kann ich mir nicht wünschen.“ Auf einmal ist er so, wie die Leute ihn mögen. Offenes Lachen, strahlende braune Augen, entwaffnende Ehrlichkeit. Er nennt sich selbst Frohnatur und attestiert sich Machtbewusstsein – beides Dinge, die in letzter Zeit etwas gelitten haben. Freunde beobachten, dass er neuerdings leichter reizbar ist, und seine Widersacher erzählen gern, dass er hin und wieder komplett schlappmacht und ein paar Tage aussteigen muss.
Matthias Platzeck hat nach seinem Amtsantritt im Herbst 98 unermüdlich gerackert. 16-Stunden-Tag, 7-Tage-Woche, und das immerzu. „Mir ging's nach der Oberbürgermeisterwahl wie der Bundesregierung: Die Erwartungshaltung war riesig, die Kassen waren leer.“
Als kleiner Schröder ist er unerschrocken in den Kampf gezogen. 45 Millionen Mark fehlen im aktuellen Haushalt. Das sanftmütige Image ist weg, seine Fähigkeit zur Härte beachtlich. Die Philharmonie wird aufgelöst, städtische Wohnungen stehen zum Verkauf, Kindergärten werden mangels Nachwuchses geschlossen, in der Stadtverwaltung fallen 500 der 2.500 Stellen weg. Frohe Botschaften hatte er wenig zu verkünden in seinem ersten Rathaus-Jahr. Die PDS wirft ihm „Rambo-Manieren“ vor, die CDU zeigt eher Verständnis. Denn alles, was Geld kostet, ist in diesen Zeiten kaum machbar. Also setzt Matthias Platzeck auf das, was auch ohne Haushaltsnummer geht: Er kümmert sich um die Stimmung, lädt zu Stadtspaziergängen, Rathaus-Gesprächen, Bürgerversammlungen ein. Die Potsdamer, lange eher ein missmutiges Völkchen, machen mit. Der Mann kann reden, vermitteln, anregen. Mit seiner jungenhaften und unbekümmerten Art überrumpelt er die Kritiker und begeistert seine Fans. Freundlich, direkt und offen geht er auf die Leute zu. Sein Leitspruch: „Ich will die Potsdamer mit ihrer Stadt versöhnen.“
Karrieren von Oberbürgermeistern sind nichts Neues in der SPD. Lafontaine begann einst in Saarbrücken, Eichel in Kassel. Glogowski, in Braunschweig gestartet, bewies allerdings auch, welche Abgründe sich nach solch einer Rathaus-Ära mit ihren persönlichen Verflechtungen auftun können. Doch Matthias Platzeck sieht da für sich keine Gefahren. Allzu lange will er offenbar nicht im Amt bleiben. Gewählt ist er bis 2006. Seine eigene Zeitrechnung hört jedoch 2001 auf. Da ist die Buga in Potsdam, bis dahin hat er sich gedanklich vorerst verpflichtet. „Langfristige Lebensplanung gab es bei mir nie“, weicht er der Frage nach der Zukunft aus. Auch die Tatsache, dass er als Stolpe-Nachfolger gehandelt wird, will er nicht diskutieren. Viel lieber erzählt er, dass er ein Spagettinarr ist, gern Rotwein trinkt, Tango tanzen lernen will und sich endlich mal wieder Zeit zum Segeln wünscht. „Was die Arbeit angeht bin ich ein richtiger Preuße, privat eher ein Genießer.“
Zu DDR-Zeiten war er im Hygienewesen beschäftigt, mit der Wende begann er eine mustergültige Politkarriere. Aus dem Vertreter der Grünen Liga am Runden Tisch wurde mit den Jahren erst ein Bündnis-90-Minister und schließlich 1995 ein ambitioniertes SPD-Mitglied. Im Streit um Stolpes Stasi-Vergangenheit hatte Platzeck zum Ministerpräsidenten gehalten. Einer der Gründe für den Abschied von den Bürgerrechtlern. Aber auch die Vereinigung mit den West-Grünen war ihm nicht recht. Der Umstieg war von Nutzen: Er konnte Brandenburger Umweltminister bleiben und das fortsetzen, was in der Übergangsvolkskammer beschlossen wurde: das Nationalparkprogramm. In Brandenburg gibt es inzwischen 14 Großschutzgebiete, davon ein Biosphärenreservat. „Das ist mein Lebenswerk, doch damit bin ich nicht halb so berühmt geworden wie mit dem Hochwasser.“ Sein souveränes Krisenmanagement im Flut-Sommer 1997 hat ihm neben der Goldenen Kamera auch ein Bundesverdienstkreuz eingebracht. „Als ich den Orden bekam, habe ich ihn in Gedanken einfach unseren anderen Leistungen gewidmet.“
Mit dem Ende der Aufbauarbeit wuchs die Lust auf einen Neuanfang. Deshalb hat er „Ja“ gesagt zur Kraftprobe Potsdam.
Dienst in der Kommune ist anders als im Ministerium, das Tempo ist höher. „Wenn's da am Montag einen Problem gab, ist man Mittwoch bestens vorbereitet losgefahren. Hier sitzt das Problem vor der Tür oder ist höchstens fünf Ecken entfernt, hier muss ich sofort reagieren.“ Wirtschaftsförderung, Kulturfinanzierung, Sozialarbeit – es kann nicht schaden, wenn er sich da auskennt, doch über kurz oder lang will er wieder auf eine größere Umlaufbahn. Der Bundesvorstand ist sein erster Comebackversuch. Wer mitreden will, muss auch was zu sagen haben. „Etwas altmodisch“ nennt er seinen Politikansatz: „Ich will für Leute da sein, die allein nicht ohne weiteres zurechtkommen.“ Seine Kommentare zu aktuellen Streitfragen fallen ebenso knapp aus. Thema Rente: „Es läuft wohl alles auf ein Grundrentenmodell mit eigener Kapitalvorsorge hinaus.“ Thema Vermögensabgabe: „Wenn sie rechtlich haltbar ist, wäre sie ein Symbol mit einigem Charme.“ Die Ökosteuer: „Gute Sache, schlecht verkauft.“ Und der Atomausstieg: „Oje, da sehe ich nicht mehr durch. Ich komme hier ja kaum zum Zeitunglesen.“ Sagt es und stürmt los zum nächsten Termin. Er hastet über die Flure, als wolle er keine Minute länger als nötig im Rathaus bleiben. Den alten Verwaltungsbau mit seinen dunklen Gängen bezeichnet er als „Gruft“. Matthias Platzeck hat gemerkt, dass er aufpassen muss, dassseine politische Karriere an diesem Ort nicht begraben wird.
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