: Streit und Streik um die Schule
■ Grundschulen streiken / Wirtschaft will „Kopfnoten“ sehen
Die Schule am Ellenerbrokweg blieb gestern geschlossen. Die Eltern der Grundschulkinder hatten einen Boykott organisiert, um dagegen zu protestieren, dass die Bildungsbehörde rund 90 Lehrerstunden streichen will. Mit diesem zusätzlichen Stunden-Deputat organisiert die Schule bisher das Modell „Volle Halbtagsschule“. 90 Lehrerstunden sind gut drei Stellen und das kostet die Bildungsbehörde etwa 300.000 Mark im Jahr. Statt der 14 „vollen Halbtags“-Grundschulen will Bildungssenator Willi Lemke (SPD) eine „Verlässliche Schule“ von 8 bis 13 Uhr mit Aushilfskräften an allen 72 Grundschulen der Stadt organisieren; dafür sollen sechs Millionen Mark zur Verfügung stehen, also durchschnittlich pro Schule DM 83.000.
Für Harald Bloch, den Schulleiter am Ellernerbrokweg, wäre das ein pädagogischer Rückschritt: Bisher werden die Erst- und Zweitklässler von 8 bis 12 Uhr durchgehend von ihrer Lehrerin pädagogisch betreut, haben also eine feste Bezugsperson. Die bessere Lehrerausstattung ermöglicht auch kleinere Lerngruppen, für Bloch ist das ein „Nachteilsausgleich“ in den „sozialen Brennpunkten“. Für die 3. und 4. Klassen werden zwischen 12 und 13 Uhr spezielle Arbeitsgemeinschaften angeboten.
Das Modell „verlässliche Grundschule“ bedeutet dagegen, dass ein Teil der Schüler nach dem Kernunterricht heimgehen kann, der Rest, der dableiben muss, von einer anderen Person und in Gruppen, die nicht der Klassenverbund sind, bis 13 Uhr betreut werden.
Heute wollen die Eltern der Grundschule Düsseldorfer Straße den Boykott organisieren, in den nächsten Tagen folgt die Paul-Singer-Straße und die Grundschule Arbergen und Hemelingen. Bildungssenator Willi Lemke war gestern früh an der Streik-Schule. „Es war natürlich unergiebig“, sagt Schulleiter Harald Bloch. In den kommenden Tagen Willi Lemke die protestierenden Schulen auch nicht mehr besuchen.
Arbeitgeber wollen die „Kopfnoten“ sehen
Nachmittags war der Senator dann in einer Diskussionsrunde zum Thema „Kopfnoten“, zu der die Grünen ihn eingeladen hatten. Harald Meyer, Geschäftsführer der Handelskammer, erklärte, die Arbeitgeber könnten mit klaren Kopfnoten mehr anfangen als mit komplizierten verbalen Bewertungen. Bei Bewerbungen wolle man „Kopfnoten“ sehen, und wenn die nicht in den Abschlusszeugnissen auftauchten, dann werde man sich von den Bewerbern Zwischenzeugnisse vorlegen lassen. Noten seien für Arbeitgeber „Anhaltspunkte“, nicht mehr und auch nicht weniger, erklärte Meyer, und da wären Hinweise auf Schlüsselqualifikationen wir „Leistungsbereitschaft“ oder die „Teamfähigkeit“ wichtig wie Fachnoten.
Der Vertreter „der Wirtschaft“ hatte insofern kein Problem mit der Kritik des Pädagogen Prof. Ziegenspeck von der Uni Lüneburg, den die Grünen eingeladen hatten: „Noten“ können keine objekte Beurteilung abgeben, hatte Ziegenspeck erklärt, „Kopfnoten“ noch weniger als Fachnoten. Aber wenn die Politik einen „Erlass“ für die Schulen beschließe, dann sei nach der pädagogischen Begründung ja nicht gefragt, meinte er bitter. Für Lemke sollen die Beurteilungen die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrern fördern. Er widersprach aber nicht dem Firmen-Interesse, bei Bewerbungen hineinzugucken.
Janna Köke, Gesamtschülervertreterin, lehnte die „Kopfnoten“ ab: Die Lehrer sollten den Firmen doch nur bei der „Vorselektion“ helfen, meinte sie. K.W.
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