: Spargeldürr und zappelbeinig
Die Macher im Box-Monopoly suchen neue Quotenhelden. Bei Universum wollen sie den Kroaten Stipe Drews zum Champion machen ■ Aus dem Hamburger Trainingscamp Rüdiger Barth
Goldene Lorbeeren welken nicht. Als habe ihn der junge Klitschko da oben vergessen, krönt wochenlang sein Siegeskranz den Cola-Automaten des Universum-Boxstalls in Hamburg. Immer wenn sich der Kroate Stipe Drews eine Dose Eistee zieht, verbeugt er sich vor den Ruhmesblättern. „Das macht mir nichts aus“, sagt er.
Ein Lehrling wie er hat nicht das Ego eines Europameisters. Der ganze Kerl ist spargeldünn. Als könne ihn ein Windhauch fällen. Die Kerben um den Mund sind zu tief für einen 26-Jährigen, undwenn er lacht, lösen sich die Gesichtszüge in tausend Fältchen auf. Nur wenige Boxer sehen nicht nach Boxer aus; Stipe Drews ist so einer.
Er ist zu Fuß da, er wohnt um die Ecke. Die Autos im Hof sind zu groß für das schlichte Wandsbek, sonst verrät nichts, dass in dieser Trainingshalle ein paar der weltbesten Faustkämpfer geschult werden. Drinnen dehnen sich an diesem Morgen ein Dutzend Athleten, die Klitschkos sind nicht da, auch nicht Dariusz Michalczewski. Es riecht nach Meister Proper, nicht nach Schweißfüßen, und es ist so sauber, dass sich der Besucher beim Eintreten unwillkürlich die Schuhe abstreift. Plakate alter Kämpfe hängen an den Wänden: das Gedächtnis des Gyms. In der Mitte prangt das Seilgeviert, der Boxring – leicht erhöht, wie ein Altar. Hier bereitet sich Drews auf den Samstag vor, auf seinen sechsten Kampf als Profi. Drei Knockouts bisher, zwei Punktsiege.
Der Olympiafünfte von 1996 steht seit April unter Vertrag, wird aber behütet wie ein Greenhorn. Ganz behutsam soll er aufgebaut werden: Kampf für Kampf, drei Jahre lang. „Bei den Profis ist ein anderes Fluidum“, sagt sein Trainer Michael Timm (37), der früher mal DDR-Meister war. „Damit muss er erst fertig werden.“ Das Profi-Fluidum, damit meint er: lange, zähe Fights, die hitzige Atmosphäre, die Last und Lust des Preisgelds. Ist es wirklich so anders? „Ouhhh“, sagt Drews und malt mit seinen Pranken einen Kreis in die Luft. Amateure hoffen tänzelnd darauf, möglichst oft zu treffen. Profis boxen auf durchschlagende Wirkung, brauchen Beine, die sich blitzschnell im Boden verankern.
Die Reichweite ist Drews‘ Kapital. Die 79 Kilo eines Halbschwergewichtlers verteilen sich bei ihm auf 1,96 Meter, so lang ist keiner der Konkurrenten. Die sind sehnig wie Henry Maske oder bullig wie früher Bubi Scholz und heute Michalczewski, der Weltmeister. „Ich lerne von ihm“, sagt Drews, „und wenn er finisht Karriere in ein paar Jahren, dann ich komme.“ Was schaut er sich ab? Er furcht seine Stirn, nimmt die Fäuste hoch, Schutzwall und Drohgebärde zugleich. „Verteidigen. Und moves, viele moves.“ Er deutet eine Rechts-links-Kombination an. Sein Kopf wiegt sich im Takt einer unruhigen Musik. „Er ist schnell und beweglich, ein Riesentalent“, sagt Timm. „Wenn er seine langen Hebel ausspielen lernt, wird er ein Champion.“
„Stipe hat einen Supercharakter“, sagt Peter Hanraths, Geschäftsführer des Unternehmens, das dem Hamburger Großgastronomen Klaus-Peter Kohl gehört. Charakter, das heißt bei Universum, dem größten Boxstall Europas: fleißig und diszipliniert trainieren, sich einfügen ins Team. Zufrieden mit dem Grundgehalt sein, über Geld nicht reden. „Das ist bei uns Prinzip“, sagt Hanraths. Drei Trainer betreuen hier 30 Athleten, darunter sechs Weltmeister. Und Drews. Für seinen Arbeitgeber ist er ein Wechsel auf die Zukunft, eine neue Figur im Box-Monopoly. Zwar ist nicht mehr so viel Geld im Spiel, seit Maske 1996 zurücktrat und Axel Schulz all seine Chancen vermasselte. Vor drei Jahren verdiente RTL bis zu 210.000 Mark pro 30-Sekunden-Spot; heute kassiert Sat.1 für einen Michalczewski-Kampf nur mehr 67.470 Mark, jüngst beim Prominentenduell Schulz gegen Wladimir Klitschko immerhin aber 135.000 Mark, mehr als die durchschnittlichen 122.000 Mark bei „ran“.
Das Niveau ist abgesackt, aber immer noch so lukrativ, dass Sat.1-Produktmanager Christoph Lüken sagt: „Wir sind sehr zufrieden.“
Für die Kirch-Sender Sat.1 und Premiere World veranstaltet Universum zwischen 20 und 25 Fights im Jahr. Box-Promoter Kohl und sein Kölner Rivale Wilfried Sauerland, der für RTL Maske und Schulz inszeniert hatte, dürstet es nach Quoten bringenden einheimischen Helden, doch „die deutschen Talente sind zu satt“, wie Michael Timm sagt. Also baut Universum auf das Prinzip Klitschko: Vor drei Jahren verpflichtete Kohl Witali und Wladimir, die Schwergewichtler aus der Ukraine; jetzt sind die Brüder so weit, die USA zu erobern, wo Tyson, Lewis und sandsäckeweise Dollarnoten warten. In solche ausländische Athleten mit Talent und Biss investiert der Boxstall, in Jungs wie Drews. Nur erwartet sich von denen kein deutscher Zuschauer Eleganz à la Maske, sondern knackige K.o.-Schläge. So sei halt das Geschäft, sagt Drews, manch einer lerne das nie, den anderen auf die Bretter zu schicken. Er wird es lernen müssen, wenn er Erfolg haben will. Seine Zappelbeine zur Ruhe zwingen für den Punch, der den Gegner von den Füßen holt.
Eine solche Schlagkraft besitzt Drews noch nicht, dafür schon einen Künstlernamen. Bis vor kurzem war er noch Stipe Drivis. „Drews“ nennen sie ihn jetzt ganz offiziell, „weil Drivis keiner aussprechen kann“, wie Hanraths glaubt. Auch wenn der Manager sagt, „dass er bis 2002 kein Weltmeister sein muss“, werden sie in drei Jahren Bilanz ziehen. Ist die Perspektive da, werden sie ihre Option nutzen; hat er die Erwartungen enttäuscht, wird Drews weggeschickt. Am Samstag muss er in Hamburg erst mal den Tschechen Jaroslav Cepicky umhauen. Ein Aufbaugegner: kein Fallobst, aber auch kein Klasseboxer, um eine Niederlage zu vermeiden. Dennoch: So richtig kennt keiner diesen Mann. Immerhin, Timm wird ein Video aufgetrieben haben. „Nix Problem“, sagt Drews.
Jemand poltert durch die Tür; es ist Michalczewski. Er tigert ein wenig durch die Halle und schnappt sich plötzlich den Neuling. Ein Wortschwall in Boxerlatein. „Das Gefühl für den Punch, das musst du ganz alleine finden“, sagt der Weltmeister so laut, dass es alle hören. Drews macht sich kleiner, als er ist. Michalczewski hat sich aus Danzigs Hinterhöfen emporgekämpft; Drews stammt aus einer kroatischen Familie „mit alles good Leute“.
Er war 19 Jahre alt und Kfz-Mechaniker, als ihn ein Freund zum Boxen schleifte. Dieser eine Abend habe sein Leben verändert. Wie geht so was? Drews lehnt am Stehtisch, schüttet Tee in sich hinein. Er findet keine Worte, nicht in seinem Kauderwelsch aus Deutsch, Englisch und Armfuchteln, und auch nicht auf Kroatisch. „Mein life is jetzt Boxen“, sagt er. Und beschreibt die Hafenstadt Pula, wo seine Eltern wohnen. Erzählt von den Strandpfaden, über die er mit seiner Kawasaki tuckerte. Dass er seine Freundin Erika vermisse, die in Oklahoma studiert. Dass er seine Eltern und den Bruder zu jedem Kampf einfliegen lasse, auch wenn das seine Börse derzeit noch aufzehre.
„Boxen is no easy money“, sagt Drews. Was, wenn er Samstag unterliegt? Wie viele Rückschläge verkraftet ein junger Boxer? „Ali hat auch dreimal verloren“, sagt Timm. Drews lacht anstelle einer Antwort. Und summt sein Lied, seine Einmarschmusik. „Rhythm of the Night“ von Corona. In Pula haben sie das oft für ihn gespielt, in der Disko, in der er Rausschmeißer war. Er zeigt die Narben an den Fingerknöcheln, die Stellen, an denen die Haut aufplatzte, wenn er sich mit „crazy people“ prügeln musste. Glasiges, totes Fleisch: das Zeichen eines Boxers.
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