piwik no script img

Kuschelkurs in Friedrichshain

■ In dem traditionellen Arbeiterbezirk arbeiten CDU und PDS seit Jahren pragmatisch zusammen. Beide Parteien bemühen sich aber, dem Eindruck von zu viel Gemeinsamkeiten entgegenzuwirken

Politik in der PDS-Hochburg Friedrichshain funktioniert so: Eine Kindertagesstätte in der Singerstraße wird geschlossen. Das Haus soll Wohnprojekt für sozial schwache Jugendliche werden. Erregte BürgerInnen, die keine „Asozialen“ in der Nachbarschaft haben wollten, beschweren sich bei der Mietervertretung. Die spricht mit dem zuständigen CDU-Stadtrat. Der redet mit der PDS-Fraktion: „Das sind doch Ihre Genossen. Können Sie die nicht zur Vernunft bringen?“ Und dann, erzählt Knut Mildner-Spindler, parteiloser Fraktionsvorsitzender der PDS, „sind wir zu unserer Basisorganisation gegangen und haben das geklärt“. Die Kriseneinrichtung konnte einziehen.

Ideologische Kämpfe zwischen PDS und CDU gibt es in Friedrichshain kaum. Beide Seiten sprechen von einer vernünftigen Zusammenarbeit, auch wenn sie sich bemühen, dem Eindruck von zu viel Eintracht entgegenzuwirken. Worte wie „Nähe“ oder „Gemeinsamkeiten“, gehen Mildner-Spindler schon zu weit. „Das Verhältnis kann man mit Normalität und Akzeptanz beschreiben.“

Hans-Jürgen Pietruszinski, CDU-Fraktionsvorsitzender in Friedrichshain, drückt sich so aus: „Man ist erstaunt, dass wir in vielen Bereichen die gleichen Intentionen haben.“ Einig sind sich die Parteien vor allem in zwei Punkten: der Befürchtung, vom Westen vereinnahmt zu werden, und dem Bestreben, sinnvolle politische Entscheidungen zu treffen. Den „Westen“ fürchten die beiden Fraktionsvorsitzenden vor allem in Gestalt des grünen Kreuzberger Bürgermeisters Franz Schulz. Denn die Fusion der beiden Bezirke steht vor der Tür. In Kreuzberg sind die Grünen mit 31,5 Prozent stärkste Partei. In Friedrichshain ist es die PDS mit 40,5 Prozent. Wenn die beiden Bezirke im kommenden Winter fusionieren, wird die PDS stärkste Partei von „Friedrichsberg“. Schulz will dennoch Bürgermeister bleiben.

Das Selbstbewusstsein des West-Bürgermeisters stört PDS und CDU gleichermaßen und schweißt sie zusammen: „Es besteht die Gefahr, von Herrn Schulz vereinnahmt zu werden“, ärgert sich Pietruszinski. In den Verhandlungen besteht Schulz darauf, nur das Sozialamt in Kreuzberg zu erhalten und das am Friedrichshainer Bersarinplatz zu schließen. Mildner-Spindler: „Wir wollen nicht, dass die Friedrichshainer Interessen von Kreuzberg überollt werden“. Mit „wir“ meint er selbstverständlich CDU und PDS.

Doch selbst ohne gemeinsamen „Feind“ funktioniert die Zusammenarbeit. „Warum sollten wir gegen einen Antrag der PDS stimmen, wenn es Friedrichshain etwas bringt“, fragt Pietruszinski, der auch schon vor der Wende in der CDU war. Aus Populismus gegen die Sozialisten zu stimmen, sei für den Bezirk kontraproduktiv.

Pietruszinski ist überzeugt, dass pragmatische Lösungen eher mit der PDS als mit der SPD möglich sind. „Die SPD ist sehr schwankend und linkslastig.“ Die PDS sei zwar auch links, mache aber „inhaltlich gute Arbeit“.

Auf Landesebene sei das anders. „Da trennen uns Welten.“ Das Verhältnis in Friedrichshain wird dadurch aber nicht getrübt. Als in der vergangenen Legislaturperiode der CDU-Jugendstadtrat Frank Wilde ausschied, war die PDS die erste Partei, die zu Hintergrundgesprächen über den Nachfolger geladen war. „Das ist ein Novum“, sagt die PDS-Abgeordnete Martina Michels, die auch Bezirksvorsitzende in Friedrichshain ist, mit Stolz. Am besten funktioniere das Miteinander, wenn es um konkrete Projekte gehe wie in der Bau- und Wirtschaftspolitik. Tatsächlich gehört es zur Tagesordnung, dass die CDU PDS-Anträgen zustimmt und umgekehrt. Im Abgeordnetenhaus wäre das undenkbar.

CDUler Pietruszinski lobt die innerhalb der PDS stark umstrittene Baustadträtin Martina Albinus-Kloss für ihre „gute inhaltliche Arbeit“. Zustimmung bei der CDU findet die Entwicklung des „Neuen Hains“ am Volkspark Friedrichshain – eine Freizeiteinrichtung mit Inlineskater-Bahn – sowie die geplante Uferbebauung der Stralauer Halbinsel.

Doch der Schmusekurs von PDS und CDU findet nicht nur Zustimmung. In der vergangenen Legislaturperiode verließen 7 von 19 Mitgliedern die Fraktion. Vier von ihnen gründeten die „Demokratische Linke Liste“. Auch deshalb, weil Baustadträtin Albinus-Kloss ihnen mit ihrer investorenfreundlichen Politik zu sehr auf CDU-Linie liegt. So genehmigte sie den Abriss eines Hauses, um Platz für Neubauten zu schaffen.

Einer der ehemaligen PDS-Fraktionsmitglieder, Andreas Fichtner, kritisiert, dass es keine Auseinandersetzungen über Inhalte, keine Streitkultur gebe. Die Friedrichshainer PDS sei „eine Kaderpartei Moskauer Prägung“ mit einem „grundlegenden Demokratiedefizit“. Fichtner wurde wegen „eigenmächtigen Handelns“ aus der Fraktion ausgeschlossen. Dass CDU und PDS so solidarisch miteinander umgingen, sei nicht verwunderlich. Beide Fraktionen bestünden in der Mehrzahl aus Alteingesessenen, die schon vor der Wende gemeinsam im Stadtparlament gewesen seien. Und Claudia Nawrot, ebenfalls ehemaliges Fraktionsmitglied, ätzt: „Mildner könnte auch in der CDU sein. Er ist kompatibel zu allem.“

Die CDU ist noch nicht so weit. Der Kreisvorsitzende in Kreuzberg, Kurt Wansner, kann sich eine Zusammenarbeit mit der PDS nach der Fusion nicht vorstellen. Er hat sogar schon mal ihr Verbot gefordert. Doch er ist sich bewusst, dass er künftig für Mehrheiten die PDS brauchen könnte. „Wenn in der BVV vernünftige Anträge gestellt werden, ist es egal, wo die Mehrheiten herkommen.“ Julia Naumann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen