Speer ist der Vater der Lichtarchitektur“

■ Hitlers Bauminister Speer wurde berühmt durch seine „Lichtdome“. Das Argument, der Silvester-„Lichtdom“ 2000 habe die Moderne der 20er-Jahre zum Vorbild, ist nicht belegt

Für den Inszenator der Lichtspiele hatte die Nacht des Reichsparteitages in Nürnberg 1937 etwas Sakrales. Adolf Hitler, so erinnert sich „Chefdekorateur“ Albert Speer, betrat bei hereinbrechender Dämmerung über die breite Treppenanlage die Bühne. Hunderttausende in Uniformen und als Kolonne aufgereiht standen in Respekt gebietendem Abstand vor dem „Führer“. Fanfaren und Paradenzauber rissen Speer „besinnungslos mit“. Auf dem Höhepunkt der Nazi-Liturgie, als Flakscheinwerfer senkrechte Lichtsäulen in den Himmel stahlten, war alles „unwirklich“ in blendende Helle getaucht. Hitler, die Masse als Ornament und der „Lichtdom“ als virtuelles völkisches Haus erhoben den Parteitag zum Akt faschistischer Ästhetik.

Die Raumwirkung von Strahlern hatte Hitlers Bauminister erstmals 1933 bei der Maifeier auf dem Tempelhofer Feld in Berlin getestet. Für die Parteitage 1934 und 1936 wurde die Schau „effektvoll gesteigert“. Zum Reichsparteitag in Nürnberg 1937 organisierte Speer 130 Flakscheinwerfer vom Luftfahrtsamt Hermann Görings. „Der Eindruck“, schrieb Speer, „überbot bei weitem meine Fantasie“. Die senkrecht in den Himmel gerichteten Strahler schufen den „Eindruck eines riesigen Raumes“. Der „Lichtdom“ war, wie Speer sagte, die „erste Lichtarchitektur dieser Art“.

In der Tat haben die „Lichtdome“ „Speer zu dem Vater der Lichtarchitektur“ gemacht, der die Suggestion von Licht und Masse zum monumentalen Bild zusammenbaute, wie Joachim Fest in seiner Speer-Biographie schreibt. Das Argument der Veranstalter, der Berliner-Silvester-„Lichtdom“ 2000 habe Bauhauskünstler und andere Licht-Regisseure der 20er-Jahre zum Vorbild, ist in der Literatur dagegen nicht belegt.

Gleichwohl, urteilt der Kunstwissenschaftler Hans-Ernst Mittig, durchlief der Umgang mit Lichttechniken in den 20er-Jahren eine „rasante Entwicklung“. Anstrahlungen des Himmels fanden sich bei Filmpremieren ebenso wieder wie bei festlichen Anlässen. Für die Architekten der frühen Moderne wie Bruno Taut oder Hans Poelzig bildete das Licht einen aufklärerischen Funktionsträger: Licht für hellere Wohnungen und ein besseres Leben.

Schließlich bediente sich die Wirtschaft der Lichteffekte für die Reklame. Mittig: „In der Reklame war mit Hochleistungsscheinwerfern experimentiert worden. Eine Fachzeitschrift berichtete 1927 über die Entdeckung des Himmels als Reklamefläche und beschrieb, wie mit Scheinwerfern Werbebotschaften auf die Wolken projiziert werden könnten.“ Leuchtschriften, so der Kunsthistoriker, als Symbole der modernen Großstadt, sendeten Botschaften via Licht in den Himmel – hatten also eine „materielle“ und „lesbare“ ökonomische Funktion.

Bei Speers „Lichtdomen“ fehlt diese Funktionalität. Die Lichtarchitektur bleibt abstrakte „immaterielle Erscheinung“, wie Speer selbst sagte, die in einen symbolisch-politischen Zusammenhang gestellt wurde. Das Licht im Nazi-Kontext von Militärzeremoniell und Führerkult, betont Mittig, wurde zum inszenatorischen „Herrschaftsmittel“.

„Speers Lichtdome sind dessen Erfindung“, urteilt der Kulturwissenschaftler Godehard Janzing. Ein naiver Umgang damit zeuge von großer Geschichtslosigeit. Der französische Diplomat und Germanist François-Poncet ließ sich 1939 in Berlin ebenso nicht täuschen: Die Flakscheinwerfer, schrieb er, verwiesen auf etwas anderes: nämlich auf einen kommenden Krieg. Rolf Lautenschläger