EU kritisiert wortgewaltig Russlands Waffengang

■  Moskaus Ultimatum an Grosny läuft ab. Die EU droht Russland mit Konsequenzen wegen seines militärischen Vorgehens in Tschetschenien

Helsinki/Moskau (AP/dpa/rtr/taz) –

Die Aussicht auf einen ultimativen Militärschlag gegen die tschetschenische Hauptstadt Grosny hat die in Helsinki versammelten 15 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) zu einer deutlichen Warnung an die Adresse Moskaus veranlasst.

Heute läuft das Ultimatum der russischen Regierung an die Zivilbevölkerung, Grosny zu verlassen, aus. Die EU droht Russland in einer gestern erarbeiteten „harten Erklärung“ mit schwerwiegenden Konsequenzen, sollte Moskau sein Ultimatum an die Zivilbevölkerung Grosnys umsetzen. Zu den angedrohten Konsequenzen gehört die Aussetzung des Partnerschaftsabkommens mit Rusland und des Tacis-Programms, durch das seit 1991 2,4 Milliarden Mark nach Russland geflossen sind.

Vor allem Frankreich und Deutschland forderten gestern in Helsinki deutliche Worte. Bundeskanzler Schröder sagte, „wir erwarten, dass der Krieg in Tschetschenien aufhören muss“. Auf keinen Fall dürfe das Ultimatum vollzogen werden. „Wenn ja, muss die materielle Basis zwischen Russland und Europa verändert werden.“

Unterdessen kündigte die russische Regierung gestern Verhandlungen mit Vertretern der tschetschenischen Führung über eine Evakuierung von Flüchtlingen aus Grosny an. Er sei bereit, jeden zu treffen, auch den Teufel, wenn Zivilisten aus Grosny gerettet werden könnten, sagte der Minister für Katastrophenschutz, Sergej Schoigu.

Die Ankündigungen aus Helsinki dürften an dem unerbittlichen Kurs Moskaus gegenüber der Kaukasusrepublik zunächst wenig ändern.

Auch gestern lag Grosny unter schwerem Beschuss. Um die Stadt Schali zogen russische Truppen gestern ebenfalls den Belagerungsring noch enger. Die Stadt sei inzwischen vom Westen und vom Osten aus blockiert. Zur Zeit versuchten die russischen Einheiten, auch die Wege in die Berge im Süden Tschetscheniens zu schließen, hieß es weiter.

Zuvor hatte Russlands Präsident Jelzin in Peking mit freundlicher Unterstützung seines chinesischen Amtskollegen Jiang Zemin klargestellt, dass Menschenrechtsverletzungen keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten rechtfertigen könnten.

Mittlerweile dämmert es auch Politikern in Russland, dass das Vorgehen Russlands mit der Bekämpfung von Terrorismus nichts mehr zu tun hat. In Grosny befänden sich noch etwa 45.000 Zivilisten, sagte der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow. „Werden alle herauskommen können? Und die es nicht schaffen, sollen die auch alle vernichtet werden?“

Der Unternehmer und Politiker Beresowski rief zu Verhandlungen auf. Er sei überzeugt, dass die Regierung dafür stark genug sei. Regierungschef Putin räumte gestern Kontakte zu der tschetschenischen Führung ein. bo

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