Alte Nachrichten aus ganz alten Zeiten

Wassili Mitrochin ist ein KGB-Überläufer. In einem Buch berichtet er nun aus dem früheren Reich des Bösen. Spektakuläre Enthüllungen hat er allerdings keine zu bieten

Bis zum letzten Augenblick war der Buchtitel unter Verschluss gehalten worden. In seiner Verlagsvorschau für den Buchhandel zeigte der Propyläen Verlag stattdessen ein braunes, kordelverschnürtes Paket. Die Geheimnistuerei hätte sich auch ein Geheimdienst ausdenken können. Und um ein Buch aus der Agentenwelt handelt es sich denn auch.

Wieder einmal hat der britische Historiker Christopher Andrew in Kooperation mit einem KGB-Überläufer ein so genanntes Enthüllungsbuch auf den Markt gebracht. Nach Oleg Gordiewsky (1990), der sich 1985 in den Westen abgesetzt hatte, nun mit dem früheren KGB-Oberst Wassili Mitrochin. Zeitgleich, so der Klappentext, werde es „in den wichtigsten Ländern des Westens“ publiziert.

1972 war Mitrochin damit beauftragt worden, das Archiv der KGB-Auslandsaufklärung aus den zu klein gewordenen Räumen in der Ljubljanka zu verlagern. Die Gunst der Stunde nutzend, fertigte er bei der Sichtung und Registrierung des Aktenmaterials auch persönliche Notizen an. Sie beginnen bei der Oktoberrevolution und reichen bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1984.

Mit dem endgültigen Zusammenbruch der UdSSR bot sich 1991 dann endlich eine Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit dem britischen SIS. Sechs randvoll gefüllte Kisten mit Geheimmaterial sind bei Geheimdiensten ein mehr als gutes Entrée – sei es auch noch so alt. 1992 schleuste der SIS Mitrochin samt seiner Zettelwirtschaft in den Westen aus. Nach Einschätzung des FBI handelt es sich dabei um das „vollständigste und umfassendste Material, das je von einer Quelle geliefert wurde“. Das mag so sein, denn in der Schattenwelt der Dienste gelten andere Gesetze. Eigene – auch uralte – Akten komplettieren, abgleichen und möglicherweise „andicken“ zu können, führt dort immer zu erhöhtem Adrenalinausstoß.

So ähnlich hat auch Christopher Andrew gearbeitet. Mitrochins Notizen hat der Leiter der British Intelligence Study Group mit anderen, bereits bekannten Dokumenten abgeglichen, gewertet und gewichtet sowie in einen historischen Kontext gestellt. Das war zweifellos nötig, denn bei aller Fülle bleiben die Notizzettel des Ex-Oberst Mitrochin trotzdem Fragmente: Aktenauszüge eben.

Seltsamerweise sorgt das Buch derzeit in Italien für Furore (siehe taz vom 11. 10. 1999). Nachvollziehbar ist dies nicht, wenn man die Qualität der „Enthüllungen“ über die KGB-Aktivitäten in der Bundesrepublik zu Grunde legt: denen von Heinz Felfe, Moskaus Maulwurf in der Organisation Gehlen (Vorläufer des BND), Hans-Joachim Tiedge, Klaus Kuron und Gabriele Gast, Spekulationen um Willy Brandt und Herbert Wehner bis hin zu den RAF-Pensionären in der DDR.

Alles wird abgehandelt, doch nichts ist für aufmerksame Zeitungsleser wirklich neu (einiges im dargestellten Zusammenhang sogar falsch). Das gleiche gilt, soweit aus deutscher Sicht nachvollziehbar, für Rudolf Abel, Julius und Ethel Rosenberg in den USA oder die britische Überläuferszene um Kim Philby, Donald MacLean und Guy Burgess. Wenn nun aus KGB-Akten weitere Bestätigungen und einige Decknamen aus alten Zeiten hinzukommen – was soll's? Herausgekommen ist bei Andrew/Mitrochin ein Buch, das ebenso überflüssig ist wie die gesamte Geheimdienstcommunity selbst. Otto Diederichs

Christopher Andrew/Wassili Mitrochin: Das Schwarzbuch des KGB – Moskaus Kampf gegen den Westen, Propyläen Verlag, Berlin 1999, 848 Seiten, 58 Mark