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Zündel war ein Präzedenzfall“

■ Zum neuen Bericht „Hass Online“ der Anti-Verleumdungs-Liga: Zwei Bürgerrechtler diskutieren, wie gefährlich Rechtsradikale im Web sind, und die rechtlichen Schwierigkeiten

Alan Schwartz leitet die Forschungsabteilung der internationalen Bürgerrechtsorganisation „Anti Defamation Leage“, Jordan Kessler ist für Internet-Fragen zuständig.

taz: Ihre Organisation hat im Bericht „Computerized Networks of Hate“ schon 1985 geschrieben, dass Rechtsextremisten gerne Computernetze benutzen. Die neueste Publikation heißt „Poisoning the Web: Hatred Online“. Auf Ihrer Website www.adl.org ist sie abrufbar. Das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles hat eine CD-ROM veröffentlicht, auf der von 1.400 rechtsextremen Internet-Seiten die Rede ist. Halten Sie diese Zahl für realistisch?

Alan Schwartz: Wir haben bewusst nie genaue Zahlen genannt. Es geht aber wohl eher um 300 bis 500 Seiten. Die ADL hat einen so genannten „Hate-Filter“ entwickelt, mit dem Eltern solche Seiten von den Computern ihrer Kinder ausschließen können. Und dieser Filter blockiert einige hundert Homepages.

Jordan Kessler: Ich halte die Zahl von 1.400 Hate Pages aus verschiedenen Gründen nicht für realistisch. Einerseits ist es prinzipiell kaum möglich, solche Adressen zu zählen. Das liegt vor allem an der ständigen Veränderung: Es kommen neue hinzu, andere werden von den Providern rausgeschmissen und verschwinden. Außerdem: Was verstehen wir unter einer Hate Page – was ist eine Site, was ist Hate? Ist eine Site mit Witzen über Farbige eine Hate Page oder die neonazistische „Stormfront“-Seite von Don Black? Oder: Ist „Stormfront“ eine oder 15 Websites, weil unter dieser Adresse Rubriken für verschiedene Gruppen versammelt sind? Der Blick auf die bloßen Zahlen verdeckt das Kernproblem. Wenn es nur fünf Hate Sites gäbe, wären sie immer noch für jeden verfügbar, der das Internet nutzt. Das Problem also bleibt, unabhängig davon, ob es fünf oder 5.000 sind.

Kein Zweifel besteht, dass solche Homepages enorm zugenommen haben und dass alle bedeutenden rechtsextremen Gruppen in den USA am Netz sind – allemal genügend Grund zur Beunruhigung. Der deutsche Verfassungsschutz zählt heute über 300 rechtsextreme Websites in deutscher Sprache. Dazu gehört auch diejenige von Ernst Zündel, die 1995 ins Web ging. Der gebürtige Deutsche lebt in Kanada und steht in Toronto mal wieder vor Gericht. Er muss sich diesmal für seine „Voice of Freedom“ verantworten, wie er seine Website gerne bezeichnet. Bisher hat er alle Gerichtsverfahren gewonnen.

Könnte es diesmal anders ausgehen?

Kessler: Seit Jahren versucht die kanadische Justiz, Zündel aus dem Land zu bekommen. Aber alle Versuche sind in den vergangenen 15 Jahren gescheitert.

Schwartz: Zündel gibt ja nicht einmal offen zu, unmittelbar für die Site verantwortlich zu sein. Als Webmaster fungiert die Amerikanerin Ingrid Rimland. Zündel behauptet, Rimland produziere die Website in San Diego und er habe keinen direkten Einfluss. Rimland mag nicht die allein verantwortliche Autorin sein. Eine Schlüsselfigur ist sie offenbar doch.

Kessler: Rimland ist mit Zündel in jeder Beziehung geistesverwandt. Ihre Biografien weisen Parallelen auf, vor allem sind beide stark durch die Erfahrung des verlorenen Weltkrieges geprägt. Rimland ist als Deutsche in der Ukraine geboren, die ihre Familie 1943 mit der abziehenden Wehrmacht verlassen hat. Ingrid Rimland hat hier in den USA Erziehungswissenschaften studiert, promoviert und arbeitet seither als Pädagogin und Psychologin, überwiegend mit Kindern. Zu diesen Themen hat sie immer wieder Vorträge an diversen Universitäten der USA gehalten. Einen Namen hat sie sich auch als Romanautorin gemacht, einige ihrer Bücher wurden sogar ausgezeichnet.

Schwartz: Sie ist insofern typisch für die Holocaust-Leugner hier zu Lande, die nicht dem traditionellen Bild des Neonazis entsprechen. Sie wollen als legitime Denker angesehen werden. Insofern ist es konsequent, dass sie sich nicht ausdrücklich mit militanten Extremisten identifizieren.

Und die Provider?

Kessler: Selbstverständlich wissen die Unternehmen, was auf ihren Servern liegt, aber einen juristischen Grund, Zündel abzuweisen, gibt es nicht. Größere Provider hätten vielleicht ein PR-Problem. Der Schluss, dass die betreffende Firma rechtsextreme Homepages unterstützt, lässt sich jedenfalls nicht ziehen. Ein Server mit Dutzenden von Hate Sites wäre beispielsweise „Idlink“ in Idaho, der in der Nachbarschaft der Neonazi-Organisation „Aryan Nations“ ihren Sitz hat. Auch bei diesem Unternehmen lässt sich aber nicht mit Sicherheit sagen, ob es rechtsextrem ausgerichtet ist oder ob es für Rechtsextreme einfach der Provider an der Ecke ist.

Keine Frage ist das bei Don Black in West Palm Beach (Florida), über den Seiten wie „White Pride Worldwide“, „Jewwatch“ oder Seiten des Ku-Klux-Klans laufen. Er ist inzwischen einer der Großen der rechtsextremen Computerszene.

Wie groß ist Zündels Einfluss tatsächlich?

Schwartz: Er spielt eine wichtige Rolle unter den Holocaust-Leugnern. Dagegen ist seine Bedeutung eher peripher in den Gruppen, die ausdrücklich Gewalttaten oder reine Neonazi-Doktrin propagieren.

Kessler: Manche Neonazis mögen die Holocaust-Leugner überhaupt nicht, weil sie deren Tätigkeit für Zeitverschwendung halten. Sie sagen: Vergesst die Vergangenheit, wir müssen nach vorne schauen. Zündel war sicherlich vor Jahren bedeutsamer, als das Internet zu einem wichtigen Medium wurde. Seinerzeit gab es ja eine heftige Diskussion um Meinungsfreiheit im Netz, Zündel wurde besonders in Kanada und Deutschland zum Präzedenzfall.

Weltweit bedeutsamer ist aber inzwischen der englische Publizist David Irving geworden. Seine „International Campaign for Real History“ und sein Verlag „Focal Point Publications“ sind mit einer Homepage im Internet vertreten, die einen kleinen deutschsprachigen Teil enthält. Irving hat sich einige Meriten erworben, bevor er zum Holocaust-Leugner wurde, und hat unglaublich starke Verbindungen bis tief in den traditionellen Neonazismus hinein.

Schwartz: Das Entscheidende an Irving ist, dass er deutlich mehr als Zündel auf Verbindungen in die reputierliche Publizistik und Einfluss auf Meinungsführer verweisen kann, andererseits aber klare Berührungspunkte zu Rechtsextremisten hat. Und er scheut sich nicht, diese Verbindungen offen zu zeigen. Er hat kürzlich auf einer Tagung des Holocaust-leugnenden „Instituts for Historical Review“ (Newport Beach/Kalifornien) gesprochen, und dies tut niemand, der seine Sympathien verdecken möchte.

Kessler: Nur sieht dies der Mainstream häufig anders. Die New York Times hat einen Beitrag über Irvings Prozess gegen die Wissenschaftlerin Deborah Lipstadt veröffentlicht, in dem Irving geradezu als Held erscheint. Er wird als Autor präsentiert, der zahlreiche, erfolgreiche Bücher über den Zweiten Weltkrieg geschrieben habe und der von Lipstadt verleumdet werde. In dem Verfahren geht es darum, dass Lipstadt Irving – wie auch die ADL – als Holocaust-Leugner bezeichnet. Nachdem das Buch in England herausgekommen ist, hat Irving verlangt, dass es vom Markt genommen wird, und wegen der strengen englischen Verleumdungsgesetze („Libel Laws“) kann er sich einige Hoffnung auf Erfolg machen. Dieser Prozess könnte gewaltige Auswirkungen haben: Ein Sieg Irvings würde bedeuten, dass die bekannten Fakten über den Holocaust legitimerweise in Frage gestellt werden dürfen.

Interview: Thomas Pfeiffer

Thomas.Pfeiffer-2@ruhr-uni-bochum.de

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