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Toten Babys Organe entnommen

Ministerium bestätigt: Eltern gaben zuvor keine Einwilligung für eineOrganentnahme zu Forschungen über plötzlichen Kindstod

Hamburg/Göttingen (dpa/AP/taz) – Wegen der Berichte über angeblich unzulässige Organentnahme aus Babyleichen will die Staatsanwaltschaft Münster möglicherweise ein Ermittlungsverfahren einleiten. Es werde geprüft, ob ein entsprechender Anfangsverdacht, etwa wegen Störung der Totenruhe, vorliege, sagte der Münsteraner Oberstaatsanwalt Wolfgang Schweer gestern.

Das ARD-Magazin „Panorama“ hatte in Bezug auf eine Sendung von gestern Abend berichtet, Forscher hätten für eine Studie zum plötzlichen Säuglingstod ohne Einwilligung der Eltern Organe aus den Leichen entnommen. Einer der betroffenen Forscher wies die Vorwürfe zurück.

Das Bundesforschungsministerium hatte jedoch am Mittwochabend bestätigt, dass in den vergangenen Jahren mindestens 41 verstorbenen Babys ohne Einwilligung der Eltern Organe entnommen wurden. Die Forscher hätten mit den Staatsanwaltschaften zusammengearbeitet und in 33 Fällen, in denen die Strafverfolger wegen der ungeklärten Todesursache eine Obduktion angeordnet hätten, Kontakt mit den Eltern aufgenommen. Von diesen hätten sie sich dann eine Erklärung unterschreiben lassen, dass sie Teile der Organe beziehungsweise Gewebeproben entnehmen dürften. Von ganzen Organen war demnach nicht die Rede.

Einer der betroffenen Wissenschaftler, der Hannoveraner Rechtsmediziner Werner Kleemann, wies die erhobenen Vorwürfe zurück. Wenn Organe im Rahmen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen komplett entnommen werden müssten, sei eine Information der Angehörigen darüber rechtlich nicht vorgeschrieben, sagte er auf Anfrage. Dies widerspreche dann möglicherweise der Einwilligung der Eltern, sei aber durch die Befugnisse der Staatsanwaltschaft gedeckt. „Ich sehe aber, dass es hier eine gewisse Diskrepanz gibt.“ Darüber hinaus berichtete das Ministerium von acht Fällen, in denen Kinderleichen nicht auf Betreiben der Staatsanwaltschaften, sondern der Forscher obduziert und Organe entnommen worden seien. In den Unterlagen sei das teilweise so aber nicht angeführt worden.

Zu diesen Vorwürfen wollte Forscher Kleemann keine Stellung nehmen und verwies auf den Leiter der 1996 initiierten Studie an der Universität Münster, der für eine Stellungnahme jedoch nicht zu erreichen war. Nach Auskunft des Ministeriums solle die Einwilligung der Eltern künftig Voraussetzung für die Organentnahme sein. Den betroffenen Eltern werde nun eine nachträgliche Bestattung der Organe angeboten, so weit diese noch vorhanden seien, sagte Ministeriumsprecher Eckart Curtius.

Der Leiter des Rechtsmedizinischen Instituts der Uniklinik Göttingen, Prof. Klaus-Steffen Saternus, hält die Empörung über die Organentnahme bei Babys für übertrieben. „Die Diskussion läuft so, als sei das was total Verwerfliches“, sagte Saternus gestern. Die wirren Spekulationen lösten Verunsicherung aus. In seinem Institut hätten bereits besorgte Eltern angerufen und gefragt, ob ihrem gestorbenen Kind ohne Einwilligung Organe entnommen worden seien.

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