: Regen der auf reife Oliven fällt
Die Sonne liegt schwer über dem erbärmlichen und edlen Land“, schreibt der Dichter Antonio Machado. Im Winter ist die andalusische Provinz Jaén erträglicher. Hier lebt man von der Olive . Ein Tropfen Öl, drei Tropfen Schweiß – das gilt bis heute ■ Von Roland Motz
Gleich hinter dem Flughafen Santa Fé von Granada beginnt das Reich der Oliven. Endlose Reihen, so weit man schauen kann, links, rechts, geradeaus, überall. „Der Regen, endlich, etwas Besseres hätte uns nach der Trockenheit der letzten Jahre gar nicht passieren können.“ Unsere Reisebegleiterin Marisa zeigt auf die Felder. „Wenn es keine Oliven gibt, heiraten die Frauen nicht.“ Selbst der Laie erkennt, im nächsten Jahr werden eine ganze Menge Frauen heiraten.
Im Dezember beginnt die Ernte. Dicht an dicht hängen die noch grünen Oliven an den Zweigen. Zinnsoldaten gleich, in militärischer Aufstellung über Hügel, Hänge und Täler hinweg eskortieren die Bäume den Bus 100 Kilometer weit. Wir fahren durch die ockerfarbene Erde von Jaén, der gleichnamigen Provinzhauptstadt entgegen. Einen Teil der 150 Millionen Olivenbäume, ein Viertel der Weltjahresernte, haben wir bei der Ankunft in der Welthauptstadt des Olivenöls bereits gesehen.
„Nach Jaén kommt man weinend, und von Jaén geht man weinend“, lautet ein uraltes spanisches Sprichwort. Und tatsächlich, selbst nach einer Stunde Olivenfelder kann man sich an der optischen Abwechslung trotz der auffälligen Kathedrale nicht besonders erfreuen. Die Straße führt am überdimensionalen Messegelände vorbei, auf dem jährlich die internationale Olivenölmesse Expoliva alle wichtigen Produzenten und Händler zusammenbringt. Jaén hat keinen guten Ruf. Dafür hat es einen wunderschön gelegenen Parador und freundliche Menschen. Auf einem Hügel über der 100.000 Einwohner zählenden Stadt liegt die Luxusherberge in den Mauern der früheren Festung Santa Catalina. Weit schweift der Blick aus 700 Meter Höhe nach Norden über eine weitere Million Olivenbäume hinunter in das fruchtbare Tal des Guadalquivir.
Aus dem Süden sind wir gekommen, im Osten Olivenbäume bis zur Sierra Magina, im Westen, hinter den gesichtslosen Neubausiedlungen, bis zum Horizont. Jaén ist eingekesselt. Beruhigend schön durch die Klarheit der Form und erschreckend streng in ihrem Ordnungswahn zugleich wirkt die gleichförmige, von Menschenhand geschaffene Kulturlandschaft mit ihren geometrischen Linien auf die Sinne. Fast schon wieder unterwegs im Reich der Oliven eine unvermutete Entdeckung – die Banos Arabes unter dem Palast Villardompardo. Großzügig angelegt und liebevoll restauriert mildern Spaniens am besten erhaltene arabische Bäder die kastilische Strenge um Jaén. So wird die Erinnerung an die vergangene Welt der Araber, ihre sinnliche Anmutung zwischen Licht und Wasser wach. „Deine edle Palme soll meinen durstigen Olivenhain wässeren“, heißt es blumig direkt in einem maurischen Gedicht vor dem Fall Jaéns im Jahre 1222.
Weitere 50 Kilometer Olivenhaine nordöstlich. Der Bürgermeister empfängt uns im Archiv von Úbeda. Der endlos lange holzgetäfelte Raum mit seinen beeindruckenden 15.000 Bänden befindet sich hinter dem verglasten Galeriengang im oberen Stock des alten Renaissancepalastes, der jetzt als Rathaus dient. Wir halten das älteste Dokument der Stadtgeschichte in Händen. Schmucklos und wenig koloriert, als ob sich die Spanier nicht sicher gewesen wären, für immer zu bleiben.
Wie überall in Spaniens alten Städten entstand die Grundstruktur der Nachbarorte Úbeda und Baeza bereits im 8. Jahrhundert durch die Mauren. Drei Jahrhunderte lag der strategisch so wichtige Hügel La Loma, auf dem die Doppelstädte errichtet wurden, im umkämpften Grenzgebiet. 1212 kam es zur Entscheidungsschlacht in Naves de Toloso. 1227 fiel Baeza, 1243 Úbeda, der Weg zum Guadalquivir war frei. Die Macht der Mauren für immer gebrochen. Die Spanier erreichten die andalusische Lebensader.
Die sich ansiedelnden Familien erhielten Privilegien wie Ländereien und Steuerfreiheit. Reichtum entstand. Die Eroberung der Neuen Welt machte die Cobos Molina aus Úbeda zur mächtigsten Familie Andalusiens. Karl V. berief den Ahnherren nicht nur zum Finanzminister, sondern auch zum Chefbuchhalter für alle aus Amerika eintreffenden Waren. Nicht kleckern, sondern klotzen hieß im 16. und 17. Jhd. die Devise, die die üppigen Renaissancepaläste gedeihen ließ. Auch im Reich der nie untergehenden Sonne besann man sich einst erst angesichts des Staatsbankrotts auf einen Sparhaushalt.
Jaén ist eine verlassene, eine vergessene Provinz, und im heutigen Zeitalter gewinnt das an Bedeutung. Die Bewohner und die Natur sind ihre Schätze.“ Der junge Sozialist schaut aus dem runden Fenster. Es regnet. Im Vordergrund der Palast Vela de los Cobos mit den witzig verspielten Eckbalkonen, dahinter der Dächerwald der „sehr ehrwürdigen“ Stadt und noch dahinter, die gesamte Vega ausfüllend und auf der anderen Seite wieder aus dem fruchtbaren Tal des Guadalquivir die Hänge der Sierra Magina heraufkriechend, Olivenbäume. Spaniens Renaissance versteckt sich zwischen Oliven.
„Was wir anstreben, ist nachhaltiger Qualitätstourismus. Für uns gibt es keine Touristen, sondern nur Besucher.“ Zum Beweis steht für jeden als Gastgeschenk eine Flasche Unioliva bereit. Das grünlichgelbe Siegeröl der Expoliva 99 stammt aus einer Kooperative in Úbeda.
80 Prozent der Bevölkerung in der Provinz leben von der Olive. Da viele nur während der viermonatigen Erntezeit beschäftigt werden, ist die Arbeitslosigkeit hoch. 4.100 Peseten, 50 Mark, beträgt derzeit der Tageslohn für sechseinviertel Stunden Arbeitszeit ohne Pausen. Es gibt 85.000 Olivenhainbesitzer, 81Prozent besitzen weniger als 10 Hektar. Der Großgrundbesitz vergangener Tage hat sich aufgelöst, die harte Arbeit ist geblieben. Mit Stangen werden die reifen Oliven von den Ästen geklopft und dann von großen Tüchern aufgelesen. Alle Versuche, einen rüttelfesten Olivenbaum zu entwickeln, hat die knorrige uralte Kulturpflanze bisher stur zurückgewiesen. Ein Tropfen Öl, drei Tropfen Schweiß – das gilt noch immer.
Die üppig dekorierte Freitreppe führt zum Innenhof mit dem eleganten Marmorsäulengang hinunter. Vom Palast der Ketten gelangt man direkt auf den Platz Vazquez de Molina, um den sich die bedeutendsten Bauwerke der spanischen Renaissance gruppieren. Vandelvira heißt der große Architekt, der im 16. Jahrhundert die klassischen architektonischen Vorgaben der italienischen Baumeister mit andalusischen Elementen vermischte. Die Kapelle San Salvador, Familiengruft der Cobos Molina, der Palast Condestable Dávalos, seit 70 Jahren und damit zweitältester Parador Spaniens, gegenüber die Stiftskirche Santa Maria, daneben das ehemalige Bischofsgefängnis und noch ein paar Schritte weiter der Palast des Vizekönigs von Peru sind die herausragenden Beispiele seines Schaffens. Im Gegensatz zu den maurischen Palästen, denen man die innewohnenden Schätze von außen nicht ansieht, wollen die Renaissancepaläste den Reichtum ihrer Bewohner zur Schau stellen; vor allem durch die aufwändige Gestaltung der Fassaden. Es ist ihnen gelungen.
Baeza heißt die kleinere der beiden ehemaligen Festungsfrontstädte, Juan Ignacio Pulido der zweitjüngste Abgeordnete des spanischen Parlaments. Er begleitet uns vom römischen Löwenbrunnen an der Plaza del Pópulo durch die Renaissance-Altstadt bis zum Brunnen Santa Maria am unteren Ende der gepflasterten, gleichnamigen Plaza, die sich ovalförmig zum Hauptportal der Kathedrale hochzieht.Der Brunnen der Heiligen Maria direkt vor der Universität Antonio Machado war 1564 Ausgangspunkt für die erste Wasserleitung der Stadt. Es regnet. Doch Juan Ignacio Pulido ist so trocken wie die ockergelbe Erde von Jaén, aus der er stammt. Etwa eine halbe Million Touristen kämen jährlich in die Provinz, davon 18 Prozent Ausländer. Sie blieben 1,6 Tage und gäben nur die Hälfte des Landesdurchschnitts aus.
„Die Sonne liegt schwer über dem erbärmlichen und edlen Land, welches die todgeweihten Herden verlassen.“ So beschreibt Antonio Machado die Olivenprovinz mit den 300 Sonnentagen, auf deren Straßen man im Sommer Koteletts braten kann und auf deren Feldern nur noch der Olivenbaum Widerstand leistet. Der spanische Schriftsteller hat jahrelang in Baeza gelehrt und geschrieben. Wir glauben ihm, 80 Jahre später, im November 99, ein wenig fröstelnd, am dritten Regentag.
„Im weiten Tal strömt der Guadalquivier zwischen Orangen und Oliven“, schreibt Frederico García Lorca. An der alten Ziegelsteinbrücke Puente del Opispo gibt es nur Oliven. Der Guadalquivir schiebt sich eher widerwillig nach vorne, als ob er nie etwas anderes sehen wollte, weder Córdoba noch Sevilla. Hinter der Brücke liegt die Hacienda La Laguna – Ölmühle, Museum und Landhotel zugleich. Nüchtern erscheint man frühmorgens zur Ölprobe. Vor uns liegen die offiziellen Bewertungsblätter der EU. Neben uns stehen die Probiergläser. Verschlossen mit einem Deckel, damit das Aroma nicht entweichen kann, und blau, damit man die Farbe des Öls nicht erkennen kann.
Francisco Pérez hat einen gut bezahlten Beruf und nur 40 Kollegen in ganz Spanien. Er ist catador de aceites - Olivenölschmecker. Wir tun uns schwer. Zwischen scharf, bitter und süß zu unterscheiden, das geht gerade noch, aber nach welchen Kräutern und Früchten und in welcher Intensität das Öl sonst noch riechen oder schmecken könnte, überfordert unsere Sinnesorgane. Zehn Tester unter dem Vorsitz eines Oberschiedsrichters bewerten die Öle. Die höchste und die niedrigste Wertung wird bei der Durchschnittsbildung weggelassen. Die Skala reicht von 1 bis 9 Punkte und ist in vier Qualitätsstufen – virgen extra, virgen fino, oliva pura und virgen corriente – eingeteilt.
Mindestens 6,5 Punkte benötigt ein Öl für das begehrte Spitzenprädikat virgen extra. Es ist einfacher, ein süßes als ein bitteres oder scharfes zu bewerten. Je länger man die Früchte reifen lässt, umso süßer werden sie. Die Oliven aus den unbewässerten Anbaugebieten in der Sierra sind die besten, die aus Tarragona haben wegen der benachbarten Kulturen einen Apfelgeschmack, und die dicken aus Sevilla sind zum Essen da. Aber für die Ölgewinnung wichtiger als die Sorten gordal um Sevilla, verdial von Huelva bis Malaga, manzanilla von Tarragona bis Lerida, und die kälteresistente cornicabra um Toledo ist die variedad picual, die vor allem in der Provinz Jaén angebaut wird.
Nach fünf bis sechs Jahren trägt ein Olivenbaum erstmals Früchte. Danach kann man 500 Jahre lang seinen Spaß haben. Der Ölgehalt liegt zwischen 22 und 24 Prozent, das Fruchtfleisch bei 9 Prozent, die Hälfte der Olive besteht aus Wasser und der Rest ist Kern. 500 Peseten, 6 Mark, bekommt der Produzent zur Zeit pro Kilo. Das alles erfahren wir von Francisco Pérez, während wir uns Olivenöl auf das getoastete Brot träufeln, so wie es überall in Jaén zum Frühstück üblich ist.
Das 1992 im Gebäudekomplex der Hacienda La Laguna eröffnete Museum La Cultura del Olivo ist das einzige seiner Art in Spanien. Im Garten sind auch die wichtigsten außerspanischen Ölbäumsorten aus Israel, Syrien, Türkei, Griechenland und Italien angepflanzt. In den verschiedenen Räumen wird an Hand von Emporen, Ölkannen, Öllampen und anderen Gebrauchsgegenständen die Kulturgeschichte der herben Frucht erzählt. Am beeindruckendsten sind die schweren Steinmühlen und die riesigen Originalpressen wie die ausgefeilte La Prensa de la Torre mit dem beweglichen Steinturm oder die 20 Meter lange Balkenpresse La Prensa de Viga. Mit immensen Gewichten möglichst großen Druck auf die Oliven auszuüben, darum ging es jahrhundertelang. Eine Herkulesarbeit im Vergleich zum Auspressen der Weintrauben. Auch heute, mit dem Einsatz moderner Maschinen über Zentrifugen, benötigt man etwa 1.000 Oliven für einen Liter Öl.
„Ohne Land und ohne Olivenhaine, was würde aus unseren Städten?“, steht am Ausgang des Museums. Eine anachronistische Mahnung. Das Schicksal Jaéns scheint vielerorts eher zu lange mit der Olive verknüpft. Zum Beispiel weiter nördlich des Guadalquivir. Auch hier nicht das Andalusien der Werbeprospekte auf Hochglanzpapier, sondern das andere, das der Abgeschiedenheit und Zurückgebliebenheit, manchmal auch der Armut. In Linares fand Manolete den Tod am Nachmittag durch ein Stierhorn – vor gut 50 Jahren. Seitdem gibt es aus der zweitgrößten Stadt der Provinz Jaén nichts Neues zu berichten.
Auf der Rückfahrt versucht die Straße manchmal den Oliven zu entfliehen, schlägt Bögen und nähert sich den Bergen – vergeblich. Die Bäume folgen. Es gibt kein Entkommen. Im Flughafen von Granada fällt der Blick auf die Schlagzeile der Lokalzeitung: Olivenhainmörder aus Jaén zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Maschine zurück in die Welt der Butter, hebt ab, unter uns, so weit man sehen kann ..., dann erst die Wolken. Es regnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen