: „Berlin ist kein himmlisches Paradies“
Sie streiten sich um die Gesundheitsreform oder das Stiftungsrecht. Doch manchmal brauchen sie auch Zuwendung von oben. Die bekommen die gläubigen Bundestagsabgeordneten im Andachtsraum des Berliner Reichstags. Auf die schwierige Suche machte sich ■ Barbara Bollwahn de Paez Casanova
Morgens um 8.30 Uhr ist die Welt noch in Ordnung. Zumindest im Andachtsraum des Reichstages. Eine halbe Stunde vor Beginn der Bundestagssitzung ertönt – mitten in Berlin – das Glockengeläut des Kölner Doms. Obwohl es in allen Abgeordnetenbüros zu hören sein soll, lockt es kaum Parlamentarier an. Alltag in der gottlosen Hauptstadt.
Die einzigen beiden Abgeordneten, die am letzten Morgengebet des Jahres teilnehmen, sind ohnehin regelmäßige Kirchgänger: Wolfgang Dehnel (CDU), ein gebürtiger Erzgebirgler mit großer Leidenschaft für den Kirchenchor in seiner Heimatgemeinde, und der PDS-Abgeordnete Heinrich Fink, gelernter Theologe und ehemaliger Rektor der Berliner Humboldt-Universität. Der Rest der Andächtigenschar setzt sich zusammen aus einem Mitarbeiter von Verteidigungsminister Scharping, einer Mitarbeiterin eines normalen Abgeordneten, dem Saalmeister, drei Saaldienern und zu guter Letzt dem Oberkirchenrat Wilhelm Schlemmer von der Evangelischen Kirche in Deutschland, der die Texte aus dem Evangelium auswählt.
Nachdem das Glockenspiel verklungen ist, verharren die Anwesenden einige Minuten auf ihren Stühlen. Dann werfen sie einen Blick auf den Liedtext, der als Kopie verteilt wurde. Durch die offene Tür dringen Gesprächsfetzen in den Andachtsraum, bei denen es um die Vorteile eines ISDN-Anschlusses oder eines Handys geht. Obwohl es der neue Bundestagspräsident mit seinen Vorgängern halten will, die in der Regel die letzte Andacht im Jahr besucht haben, taucht Wolfgang Thierse nicht auf. So beginnt das Morgengebet pünktlich um 8.40 Uhr ohne den zweithöchsten Mann im Lande.
„Wie soll ich dich empfangen, und wie begegne ich dir, o aller Welt Verlangen, o meiner Seelen Zier?“, singen die Anwesenden die erste Strophe eines Liedes aus dem evangelischem Gesangbuch. Dank der guten Akustik des 12 mal 6 Meter großen Raumes klingt der Gesang nach einer Vielzahl der singenden Kehlen. Wolfgang Dehnel, der in der ersten Reihe sitzt, erhebt sich. Wie schon bei der Hälfte der bisher 20 Andachten seit Aufnahme des Parlamentsbetriebs in Berlin übernimmt er auch an diesem Tag das Verlesen des von Schlemmer herausgesuchten Textes. Ist kein Abgeordneter da, übernimmt zur Not der Saaldienst diese Aufgabe. Als Dehnel die ersten Zeilen des 102. Psalms spricht – „Ja, der Herr baut Zion wieder und erscheint in seiner Herrlichkeit“–, ist seine sächsische Herkunft nicht zu überhören. Nach einem gemeinsamen Gebet verabschiedet der 54-Jährige die Gläubigen in den Parlamentsalltag mit den Worten „Kommen Sie etwas zu Besinnung“. Von Besinnung war die Monate vor der ersten Andacht wenig zu spüren.
Als im Februar die CSU-Landesgruppe den Andachtsraum besichtigte, stellte sie zu ihrem Entsetzen fest, dass kein Kruzifix an der Wand hing. Es könne nicht sein, schimpfte der parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Peter Raumsauer, dass „das Symbol des Christentums schlechthin“ fehle.
Die Vorstellung, dass das Kreuz nur bei Bedarf aus dem riesigem Schrank im Vorraum des Andachtsraumes geholt wird, war ihm ein Graus. Während Peter Gauweiler „die Abdankungsbereitschaft der deutschen Kultur“ beklagte, gab auch der Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, Manfred Kock, zu bedenken, dass es „ein Jammer“ wäre, „wenn in einem Land, in dem die christliche Tradition noch nicht ausgelöscht ist, das zentrale Symbol der Christenheit“ keinen angemessenen Platz finde.
Dabei hatten im Vorjahr alle Parteien und Vertreter der beiden großen christlichen Konfessionen das Konzept des Andachtsraumes abgenickt. Die Baukommission und der Kunstbeirat des Bundestages hatten in der vergangenen Legislaturperiode mit ihrer damaligen CDU/CSU/FDP-Mehrheit den Künstlern und Architekten nur eine einzige Vorgabe gemacht: Im Andachtsraum sollen sowohl Christen als auch Juden und Muslime beten können.
So hat der aus dem katholischen Rheinland stammende Bildhauer Günther Uecker einen Raum gestaltet, der es allen recht machen soll. Eine Wasserstelle rechts neben dem Eingang dient Christen als Weihwasserbecken. Eine 15 Zentimeter hohe Bodenkante soll ihnen zudem die Richtung Jerusalems, den Muslimen hingegen die nach Mekka weisen. Juden können sie außerdem als symbolisierte Klagemauer deuten. Im Zentrum des Raumes steht ein Altarstein, der ebenso wie der Boden aus geflammtem katalanischem Granit ist.
Der vom Zen-Buddhismus inspirierte Bildhauer ist bei der Ausgestaltung des Raumes seinem Markenzeichen – Nägeln – treu geblieben. Die an den Wänden lehnenden sieben riesigen abstrakten Gebotstafeln sind mit „Materialien der Entbehrung“ ausgestaltet. Das heißt: jede Menge Nägel, Sand, Steine und Asche.
Obwohl auf den beiden Tafeln hinter dem Altar zweifelsfrei zwei Kreuze zu erkennen sind, bestand die CSU auf einem Ortstermin mit dem Bundestagspräsidenten und Kirchenvertretern. Die aus Nägeln bestehenden angedeuteten Kreuze schienen ihnen zu abstrakt. Nun ziert ein kleines Holzkreuz den Altar. Als die dänische Königin Margrethe II. Ende Oktober bei einem Berlinbesuch den Andachtsraum besichtigte, zeigte sie sich entzückt: „Da hat mal jemand richtig nachgedacht“, sagte sie.
Die Wahrscheinlichkeit, dass das Kreuz vom Altar genommen werden muss, ist ohnehin äußerst gering. Jüdische Abgeordnete gibt es bisher keine im Bundestag, und die zwei einzigen Muslime sind nach Angaben von Oberkirchenrat Schlemmer keine praktizierenden Vertreter ihres Glaubens.
Wolfgang Dehnel kann die ganze Aufregung um das Kreuz sowieso nicht verstehen. „Der Witz ist, dass sich Leute geäußert haben, die sich hier nie blicken lassen“, schimpft er. Auch wenn er selbst den Andachtsraum in seiner „Kahlheit und Kühle“ mehr als Mahnraum empfindet, fühlt er sich wohl. Denn schließlich gehe es um „die Ehrfurcht vor Gott“ und darum, „zehn Minuten in sich zu gehen“. Dehnel, der betont, dass er in der DDR konfirmiert statt vom Staat jugendgeweiht wurde, würde sich zwar wünschen, dass mehr Parlamentarier den Andachtsraum aufsuchen würden. Doch nachdem er alle Abgeordnete zweimal angeschrieben und sie auf „das schöne Angebot“ hingewiesen hat, insistiert er nicht mehr. „Ich hebe nicht den Zeigefinger“, sagt er.
Somit tritt das ein, was der Kölner Erzbischof Kardinal Joachim Meisner, der von 1980 bis 1989 Bischof in Berlin war, bereits seit langem weiß: Berlin ist kein himmlisches Paradies. Recht hat er auch mit dem prophezeiten „Weg durch die Schlucht der Finsternis“. Denn auch wenn die Diskussion um das Kreuz vom Tisch ist, sind die Auseinandersetzungen um den Andachtsraum nicht zu Ende.
Bei aller Konzentration auf die überkonfessionelle Nutzung gerieten einige grundlegende Dinge einer Kapelle in den Hintergrund. So ist die Orgel, die schon in Bonn benutzt wurde, hinter einer Wand versteckt. Der Organist, Musikdirektor Christian Schlicke (62) von der evangelischen Kirche, spielt also gegen die Wand. Das empfindet er als komisch und widersinnig. „Man hätte mehr darauf achten müssen“, sagt er, „dass eine Kapelle eine Funktion hat.“ Einzig die gute Akustik und die „Freude an dieser Aufgabe“ tröstet ihn über seine Unsichtbarkeit hinweg.
Auch Dehnel könnte mosern: Weil die Architekten bei ihrer Planung an so profane Sachen wie Kerzenleuchter nicht gedacht haben, steht derweil ein Eisenkerzenhalter neben dem Altar, der nicht so recht zu den Holzstühlen passt. Weil auch kein Lesepult geplant wurde, werden derzeit die Texte vom alten Pult aus dem Bonner Andachtsraum verlesen. Auch dieses Holz passt nicht zur Bestuhlung. „Wenn nicht bald was läuft“, so Dehnel, „rede ich mit der Bundestagsverwaltung.“ Er hofft, dass es „nicht wieder Zoff gibt“. Denn statt millionenteure Künstler zu engagieren, könnte er ohne viel Aufwand und Geld einen Künstler aus dem Erzgebirge beauftragen.
Seltsamerweise hatte es in all den Jahren in Bonn nie Beschwerden über den dortigen Andachtsraum gegeben. Dabei mussten die Gläubigen dort mit einem schlichten Raum vorlieb nehmen, der in Nicht-Sitzungswochen des Parlaments als Konferenzzimmer diente. Vielleicht lag es daran, dass sich das Dutzend Abgeordnete, das sich dort einfand, eh im Paradies glaubte. Blickte man aus dem Fenster, bot sich ein schöner Blick auf einen Park, durch den gelegentlich Hasen hoppelten.
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