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Dialektik der Abklärung. „Great!“

Banalität und Wahrheit im konsequenten Oberflächenbluff. Stefan Bachmann stellt in Hamburg seine Märchenonkelqualitäten unter Beweis und geht bei der Uraufführung von Rainald Goetz’ „Jeff Koons“ dem Autor nicht auf den Tiefenleim ■ Von Ralf Poerschke

Der Dramatiker war nicht amüsiert. Dreimal musste Rainald Goetz auf die Bühne kommen zum Verbeugen vor dem Publikum, das sich an diesem Abend hingegen sehr amüsiert hatte. Er tat es mit einem denkbar gequälten Lächeln. Da hatte man Goetz nach Uraufführungen seiner Stücke schon ganz anders gesehen, zumal hier im Deutschen Schauspielhaus zu Hamburg. Zuletzt anlässlich der Neukurzfassung von „Krieg“ Anfang 1998, wo es ihn vor Freude über diese selbstironisch-wehmütige Abrechnung mit seinem wutschäumenden 80er-Jahre-Schaffen (und den 80er-Jahren überhaupt) kaum noch auf den Füßen hielt. Da hatte er aber auch mit Anselm Weber als Regisseur einen aufrichtigen Verbündeten gefunden.

Diesmal sollte Stefan Bachmann ran, dessen Arbeit Goetz nach eigenen Angaben „toll“ findet. Die Kombination war von der Idee her gar nicht schlecht, denn der 33-jährige Bachmann – derzeit in Basel amtierender deutschsprachiger Theatermeister – ist der wohl einfallsreichste Geschichtenerzähler unter den hiesigen jungen Regisseuren, und solcher Märchenonkelqualitäten bedarf das Stück „Jeff Koons“. „Stück“ ist nämlich eine von Goetz durchaus provokative Falschetikettierung, im Mindesten aber eine Herausforderung an das Theater in sportlicher Hinsicht: Es hat keine Figuren, keine Regieanweisungen im herkömmlichen Sinne und schon mal gar keine Handlung. Es hat nur ein paar Räume und vage Aktionsfetzen. „Jeff Koons“ ist mehr ein Gedichtband, mal Vers – auch gereimter –, mal Prosa; es geht ums hippe Nachtleben (mal wieder) und natürlich um Kunst und „um Reden, / Bilder, Melodien, / es geht um Streit / und Stimmigkeit. / Es geht um Menschen, die was sagen, / wollen, tun. / Normal. / Es geht um Schöpfung und Gebärden, / um Dinge, Sachen / und Ideen. / Es geht um Alltag, / Wahrheit und Banalität“, wie der Dichter selbstreferenziell dichtet.

Um die Person Jeff Koons geht es an keiner Stelle, sondern um das, was Goetz an dessen Arbeiten – klar – „toll“ findet: die subversiv glänzende Oberfläche, die gesellschaftskritische Ambivalenz des (scheinbar?) Affirmativen, das Aufweichen der Grenze zwischen Kunst und Kitsch, das Unterlaufen des Marktes durch medienwirksame Partizipation.

Dabei ist „Jeff Koons“ konsequenterweise selbst ein Bluff: Hinter der lyrischen Hochglanzfassade befindet sich – nichts. Und jetzt das Tolle: Der Regisseur geht Goetz kein bisschen auf den Leim. Die beiden hatten vorher vereinbart, sich nicht über mögliche Inszenierungsformen zu verständigen, und Bachmann nutzt die mithin eröffnete Freiheit – respektlos.

Oliver Mallison und Nina Kunzendorf steckt er in cremefarbene Catsuits (Kostüme: Annabelle Witt), macht sie zu Wiedergängern der Koons-Skulptur „Naked“ (1988), um sie alsbald in das himmlische Paar Jeff Koons und Ilona Staller höchstpersönlich zu verzaubern.

Wolf Bachofner, Martin Horn, Josef Ostendorf, Wolfgang Pregler, Siggi Schwientek, Rainer Strecker und Devid Striesow setzt er Andy-Warhol-Perücken auf und lässt sie marthalermäßig „Frozen“ von Madonna singen (die Goetz übrigens „toll“ findet). Dieselben spielen in Folge die romantischen drogenabhängigen Randständigen („die Gebückten vom Görlitzer Bahnhof“) – angetan von Kopf bis Fuß in Rokoko.

Den dramatischen Höhepunkt aber bildet die Rede zur Ausstellungseröffnung: Eingefunden hat sich der halbe Koonssche Skulpturenpark, „Pink Panther“, die Winter Bears“, der große Braunbär mit dem Polizisten. „Popples“ hält den – von Goetz im Grunde bierernst gemeinten – Vortrag, stammelt diesen hochtrabenden Nonsens, während die niedlichen Plüschfiguren beginnen in die Ecke zu pinkeln, auf den Boden zu scheißen, anal und oral zu verkehren, sich zu verstümmeln und dabei den schneeweißen halben Halfpipe-Galerie-Raum in die grandiose Persiflage eines Actionpaintings verwandeln. Sauerei!

Immer wieder wendet Bachmann den Text gegen seinen Autor, sagenhaft komisch und im derbsten Slapstick noch filigran argumentiert. Und immer wieder kommt er – selbst ja durchaus auch ein Romantiker – zu ehrlich melancholischen Momenten: Da fällt ein Spot auf den nachdenklich monologisierenden Künstler, da darf der Schnee leise rieseln, und im Hintergrund klimpert Satie.

Bachmann fährt Gefühlsachterbahn ohne Rücksicht auf Verluste, er vollbringt wahre Wunder an krassen Schnitten und nahtlosen Übergängen, wobei die kongeniale Guckkasten- und Drehbühne von Barbara Ehnes kräftig Vorschub leistet.

Doch letztlich bleibt das alles dem schmalen Goetz-Kontext verhaftet. Die Inszenierung hadert bisweilen selbst mit dem Problem des Banalen, verheddert sich in den im Text aufgeworfenen Widersprüchen, tritt auf die entschärft gewähnte Mine der Dialektik der Abklärung, und so bleibt es doch nur eine tolle Scheiß-Inszenierung, allerdings eine total tolle. Oder wie Jeff Koons, der auch unter den Zuschauern war, es nach der Premiere ausdrückte: „Great!“

„Jeff Koons“ von Rainald Goetz. Regie: Stefan Bachmann. Deutsches Schauspielhaus Hamburg. Nächste Aufführungen: 21. 12., 9. 1. 2000

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