: Morgens im Regen auf Öko-Jagd
Umweltbehörde hat Richtlinien zum naturnahen Jagen in Hamburg herausgegeben. Baller- und Schonzeiten bergen Konfliktstoff zwischen Naturschützern und Waidmännern ■ Von Peter Ahrens
Haarwild, Federwild, Schwarzwild, Schmalspießer und Fasanenhennen – doch nicht in Hamburg. Das sind Vokabeln aus einer anderen Welt, da wo die Milchkannen vor der Tür stehen und süß das Mondlicht auf den Hügeln schläft. Unfug. Auch in der Großstadt sagen sich Dachs und Kaninchen gute Nacht. In Hamburg wird genauso gejagt wie anderswo auch. Rebhühner und Mauswiesel kommen hier ebenso vor die Flinte wie in Niedersachsen oder Mecklenburg. Bloß: „Naturnah“ soll das in Hamburg passieren. Das wünscht sich die Umweltbehörde, und daher hat sie Grundsätze einer naturnahen Jagd herausgegeben.
Die Vier- und Marschlande und der Duvenstedter Brook, die Sülldorfer Feldmark und Poppenbüttel, aber auch der Stadtpark oder der Ohlsdorfer Friedhof – Reviere in der Stadt. Theoretisch ist die ganze Stadt in Jagdbezirke eingeteilt. Aber da es nur beschränkt sinnreich erscheint, auf der Reeperbahn nachts um halb drei auf die Pirsch zu gehen, beschränkt sich das Waidwerk auf Wald, landwirtschaftliche Flächen und Parks. Und auf Gärten – 100 Stadtjäger sind in Hamburg unterwegs und beraten Eigentümer, die einen Marder oder ein paar Kaninchen zur Untermiete haben oder bei denen es sich ein Wildschwein im Garten bequem gemacht hat. Was gar nicht so selten ist, da Wildschweine sich schnell an den Menschen gewöhnen können.
Die Vorbehalte vor allem zahlreicher Tierschützer gegen die Jagd sind natürlich auch denen bekannt, die sich bei der Umweltbehörde mit diesem Thema befassen. Abteilungsleiter Dr. Rainer Wujciak und Anke Hahn, die sich um die Jagdverwaltung kümmert, betonen deswegen auch, dass der Jäger „einem artenreichen und gesunden Wildbestand, der Bestandspflege und der Hege verpflichtet“ sei, dass die 2500 Inhaber von Jagdscheinen in Hamburg oft „als Biotoppfleger und im Wildschutz eingesetzt“ seien. Die naturnahe Jagd, so die Richtlinien, die der Jagdbeirat der Umweltbehörde erarbeitet hat, soll die „Lebensgrundlagen und Lebensräume eines artenreichen Bestandes wildlebender Tiere und die natürliche Artenvielfalt“ stützen. In dem Jagdbeirat sitzen Jäger und Förster ebenso wie Bauern und die Umweltverbände.
Die naturnahe Jagd, so die Richtlinien weiter, „basiert auf vorbildhaftem jagdlichen Verhalten“ und sei „zum Schutz der Lebensräume des Wildes“ da. In dem Papier strotzt es zudem vor Ausdrücken wie Wildbiologie, Biotopmanagement, Nachhaltigkeit oder ökosys-temgerechtes Vorkommen. Das klingt wie das Inhaltsverzeichnis aus dem Wörterbuch des Naturschützers. Und Wujciak und Hahn bezeichnen die naturnahe Jagd denn auch als Beitrag zum Naturschutz.
Zusätzlich hat der Senat beschlossen, den Zugang zur Jägerprüfung zu ändern. Bisher wurde die Prüfung, die als Mindestvo-raussetzung gilt, um an einen Jagdschein zu kommen, vor einem Ausschuss abgelegt, dessen Mitglieder allein von der Landesjägerschaft vorgeschlagen wurden. Jetzt haben auch die Umweltverbände ein Vorschlagsrecht bekommen. Kleine Schritte.
Es ist eine Gratwanderung, die Interessen der Umweltverbände, der Landwirte, der Forstwirtschaft und der Jägerschaften zu vereinen. Deswegen werden Wujciak und Hahn auch nicht müde, darauf zu verweisen, dass es sich hierbei um kein Gesetz, um keine Verordnung handelt.
„Wir wollen die Richtlinie mit allen Betroffenen diskutieren und zum Konsens kommen“, sagt Wujciak. Jäger und Naturschützer an einem Tisch, die sich auf ein gemeinsames Papier einigen sollen – das birgt Konfliktstoff.
Die Grundsätze klingen zwar so, dass man ihnen kaum ernsthaft widersprechen könnte. „Interessant wird es allerdings bei der Umsetzung“, sagt Wujciak. Zum Beispiel der Satz „Naturnahe Jagd verzichtet auf die Bejagung von Arten, deren Bestand gefährdet ist.“ Der hört sich ganz harmlos an. Doch bei der Diskussion, welche Art denn nun in ihrem Bestand gefährdet sei und welche nicht, gehen die Positionen von Umweltschutz und Jägerei weit auseinander.
Kein Spielraum gibt es bei Tieren wie dem Seehund oder bei Greifvögeln. Die sind ganzjährig geschützt, da gibt es kein Deuteln. Und die Jagd im Nationalpark Wattenmeer ist genauso ein Tabu. Bei Arten wie der Silbermöwe, dem Wildkaninchen oder dem Rotwild haben auch viele Umweltschützer keine ernsthaften Bedenken, dass sie zumindest für einige Monate im Jahr zum Abschuss freigegeben werden können. Aber ansonsten sind die Jagd- und Schonzeiten das Thema, um das sich die Debatte dreht.
Die Umweltschützer würden beispielsweise gern die Enten stärker schützen, die bisher von Oktober bis Mitte Januar bejagdbar sind. Die Jäger wollen sich mit einer Einschränkung der Entenjagd aber nicht einverstanden erklären. Was ist mit dem Baummarder, dem Iltis, was mit der Ringelgans und der Waldschnepfe, mit dem Hermelin und dem Feldhasen? Alles nicht unumstritten.
Dann kommen noch die Bauern dazu und fordern die Ausweitung der Jagd auf Gänse, die ihnen die Felder leer fressen. Da gibt es noch einiges zu bereden, und die Umweltbehörde würde das am liebsten so regeln, dass sich alle Beteiligten gütlich einigen. Wobei das mit den Bauern und den Gänsen noch am ehesten zu regeln ist. „Den Gänsefraß muss man akzeptieren und die Landwirte mit Geld entschädigen“, ist Wujciaks Position.
Für die Behörde hat die Jagd ihren Platz im Umweltschutz. Von prinzipiellem Verteufeln der Jägerei ist bei Wujciak und Hahn keine Rede. Und die Jagd als gesellschaftliches Ereignis, bei der selbstzufriedene Politiker am Wochenende auf Wild ballern, die gebe es in Hamburg sowieso nicht. „Jagen ist Mühsal“, sagt Wujciak. Frühmorgens, bei Regenwetter, mitten in der Woche, um möglichst keine Menschen zu gefährden – „es kann schließlich zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Jogger aus dem Gebüsch springen“ – das sei der Jagdalltag, und der habe wenig mit Lustgefühlen zu tun.
Die wohlhabenden Hamburger, die das Schießen auf lebende Tiere noch als Spaß und die Jagd als Ausflug begreifen, – die seien nach Mecklenburg-Vorpommern ausgewichen und hätten sich da ihre Reviere gekauft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen