: Kunst als Bierdeckel und Triebtäter
Die Kreuzberger Produzentengalerie Soma ist nach Adlershof umgezogen. In ihren Montagsrunden wird die Zukunft der Kunst als Zwischenbericht diskutiert – und in einer Ausstellung auch ■ Von Petra Welzel
Die Produzentengalerie Soma: Ein Jahr lang war die Zweiraumvitrine in der Ohlauer Straße 38 ein Schaufenster in die Stadt, in die Welt, ins Universum. Wozu noch Ausstellungen machen, wenn die entscheidenden Fragen auf der Straße aufgeworfen werden? Wenn die Ausstellungsräume in den vergangenen sechs Jahren meist ohnehin nur am Eröffnungsabend begehbar waren? Der Blick von außen nach innen die Hinterglaskunst bestimmte?
Ein Jahr lang waren die Scheiben mit weißen Lamellen verhängt. Durch die Schlitze sah man einen mal mehr, mal weniger aufgeräumten langen Tisch mit etlichen Stühlen drum herum. Manchmal transportierte ein Lautsprecher irgend welche Gespräche nach draußen, von Menschen, die nicht zu sehen waren. Für einen Tag war der Schriftzug „Soma Lisa – Café-Ristorante“ zu lesen und die Einrichtung des italienischen Restaurants von gegenüber adaptiert worden, weil immer erst dort, nach den Montagstreffen, die eigentlichen Diskurse stattgefunden hatten. Dann wieder waren nur leere bis halb leere Bierflaschen und Unordnung zu sehen.
Ein Jahr lang hatten die Betreiber und Künstler Ruudi Beier, Ulrich Grüter und andere jeden Montag einen Think Tank aus ihrer Galerie an der Einfahrt zu einem Domäne-Baumarkt gemacht. Eines Montags war die Runde nicht einmal von der anderen Gehwegseite auszumachen. Sie tagte im Dunkeln, und nur die vorübergehenden Passanten lösten durch einen Bewegungsmelder ein kurzes Aufleuchten aus. Jetzt ist Dauerlicht ins Dunkel gebracht, mit „Somavision“, einer neuen Ausstellung – in der Galerie in der Alten Schule in Adlershof.
Neuerdings treffen sie sich dort, die Künstler und Künstlerinnen, manchmal auch ein paar Gäste. Am vergangenen Montag saßen unter 20 Menschen drei von der Presse. Und ein „Alt-Glienicker und alter Grafikdesigner“, wie sich der Mann mit zwei Brillen vorstellte. Er habe die Ausstellung gesehen und sei „einfach interessiert“. Das hat die Kunstschaffenden natürlich gefreut, auch wenn sie ihm im Gegenzug sogleich erklärten, dass dies keine Ausstellung, sondern nur ein Zwischenbericht sei. Und im Verlauf der Diskussion wurde bald deutlich, dass sie selbst mit diesem Zwischenbericht nicht wirklich zufrieden sind.
Was in der Ohlauer Vitrine noch aus den Gesprächen heraus zu glasklaren Aktionen geführt hatte – etwa zur „Soma Akademie“, in der 32 Künstler einen Abend lang auf Möbeln einer Kreuzberger Schule türkische Phonetik und Idiomatik übten –, hat nun im white cube der Adlershofer Galerie beispielsweise eine aufblasbare Gummisäule hervorgebracht. Aus der entwich die Luft allerdings genauso schnell wie aus den Überzeugungen der Produzenten. Dabei taugt Harry Haucks ironische Referenz ans Klassische, so besehen, ebenso wenig für eine „Somavision“ wie Ruudi Beiers „Universal Bohrer“, ein einstündiges Video, in dem der Künstler erst mit einem 6-mm-Bohrer das Sternenfirmament und schließlich mit einem 1-mm-Bohrer die Milchstraße in ein schwarzes Brett bohrt. Die Zukunft liegt nicht in den Sternen – sagt der Künstler.
Wo liegt sie dann? Im „Spiel mit der Ironie und dem Größenwahn“, wie er behauptet? Darin, als „Schöpfergott“ nicht mehr an Grenzen zu stoßen, sondern sich jeden Abend das Universum mit einem Bohrer neu zu schaffen? Das bedarf noch der Auseinandersetzung. Vor allem der Definition von Zukunft: Ist es allein die des Projekts Soma oder der Kunst im Generellen? Was ist Kunst überhaupt? Sind es die Bierdeckel von Anna Kleinklein und Matthias Stuchtey (Aufschrift: „Ich will nach Guggenheim“), die während der Runde am vergangenen Montag nebenbei mit Kulis bearbeitet wurden? Oder wer ist die Kunst? Ein Triebtäter etwa, wie eine Künstlerin einwarf, der das einfach macht, mit oder ohne Öffentlichkeit, der einfach nicht mehr aufhört? Vielleicht wäre das eine Zukunftsvision für KünstlerInnen.
„Somavision“ in der Galerie in der Alten Schule: Bis 16. Januar, Mo/Do/Fr 11–19 Uhr, Di 11–17 Uhr, So 14–19 Uhr; nächste Montagsrunde am 3. Januar, 20 Uhr, Dörpfeldstraße 56
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