: Amerikanischer Patient
Zwischen Boxenstopp und Pausenbrot: Das Metropolis zeigt eine Wim Wenders-Retrospektive ■ Von Birgit Glombitza
Jemand zündet sich eine Zigarette an. Einer trinkt. Einer schaut aus dem Fenster und spricht dabei auf ein Diktiergerät. Ein Mann kann nicht schlafen. Eine Frau spielt Geige. Eine andere ist gerade gestorben. Doch das sieht man nicht. Das ist nur eine Nachricht an den Kameramann. Ein weiterer Anruf beim Produzenten, weil man nicht fassen kann, dass es kein Geld mehr für das Filmteam im Film gibt. Der Set wird zum Dornröschenschloss nach dem Spindelstich. Jede Bewegung ist nur noch die Pose einer leeren Geschäftigkeit. Selbst der Zigarettenrauch will nicht so recht verfliegen. Alles steht – Der Stand der Dinge, eben. Wim Wenders Bestandsaufnahme einer Stagnation, aus der er seinen mauligen Odysseus ausschickt, um ein letztes vergebliches Mal, die Lanze für den unabhängigen Autorenfilm zu brechen.
Der Rest ist Warten. Oder Reisen. Wer sich nicht bewegt, ist auch nicht. Genau wie das Kinobild selber. Leben ist bei Wenders vor allem Flugzeugfliegen Schwebebahn-, Boot- oder Autofahren. Lange Wege legen seine Helden zurück. Von Amerika nach Deutschland (Alice in den Städten), entlang der deutsch-deutschen Grenze (Im Lauf der Zeit) oder pendelnd zwischen Hamburg, München, Paris und New York (Der amerikanische Freund). Zwischen Boxenstop und Pausenbrot muss der Rest Platz finden. Begegnungen, Arbeit, Altern und ab und zu ein Verbrechen. Eine falsche Bewegung und jemand ist tot oder verliebt oder einfach nur kreuzunglücklich.
Seine Protagonisten sind hauptsächlich Männer. Mehr Sammler als Jäger, aber dennoch ungeheuer einsam. Sie archivieren Bilder, Töne, Filmrollen oder Biographien. Und sie sagen Dinge wie „Filme sind schließlich kein Fertighaus“ oder „Geschichte existiert nur in Geschichten“. Und wenn es schlimm wird auch: „Fernsehen ist Gift für die Augen.“
Diese Ritter von der traurigen Gestalt eines Bruno Ganz (Der amerikanische Freund) oder eines Rüdiger Voglers (Im Lauf der Zeit) reden häufig mit sich selbst, sind selbst ihre liebsten Rezipienten, haben keine Ahnung vom Glück und suchen nach der antiquarischen Wahrnehmung: dem Wahren, Schönen, Guten im goldenen Empfindungsbild. Unversaut durch Funk und Fernsehen, häufig vermittelt durch das brave Kind mit dem unverstellten Blick und der Diskretion des reinen Herzens. Ein Unternehmen, dem man bei Wenders Filmen schnell die Anstrengung anmerkt. Das Sehen soll hier nichts für Anfänger sein. Schnell kommt da ein Film mal einer Sonderbegabtenprüfung gleich. Und am Ende, hinter allen Bildern und alter egos, steht mit der Einsamkeit einer Caspar-David-Friedrich-Figur der Regisseur und Meister-Gucker Wenders himself.
Nicht selten erweist sich Wenders dabei als optischer Hypochonder, der vor lauter medialer Teufelsbrut in TV und Popcorn-Kino nur noch die Moral des ehrlichen Handwerks preisen mag. Und wenn Bruno Ganz als Bilderrahmer in Der amerikanische Freund nicht die Welt, aber ein paar ihrer Ausschnitte, mit den Händen greifen kann und Rüdiger Vogler alte Projektoren wieder heil schraubt, verarzten beide die wunde Netzhaut des Wim Wenders gleich mit.
Spätestens seitdem der Regisseur mit Der Himmel über Berlin seinen Bildrittern Engel mit Glücksverheißungen an die Seite stellt, gilt er als Esoteriker unter den Autorenfilmern. Seine hartnäckigen Versuche nur noch zu zeigen, statt zu erzählen und den Film nur noch als romantisches Medium auf der Suche nach der Blauen Blume des wahrhaften Sehens zu nutzen, lässt seine späteren Filme ein wenig auf der Stelle treten.
Man kann ihm die verbissene Bedeutungswut, die gestelzte Befindlichkeitssuche und all die eitlen Gesten eines posierenden Melancholikers vorwerfen. Doch eines muss man Wenders bei aller Betulichkeit lassen: Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass in vielen Filmen die Geschichte nur ein Vowand ist, um Bilder zu machen. Erzählt er trotzdem, kommt Großes wie Der amerikanische Freund oder Paris, Texas dabei heraus und das nicht zuletzt Dank seines Kameramannes Robby Müller. Der Holländer versteht es wie kaum ein anderer, eine Kulisse aus medialen Standbildern, postindustriellen Strukturen und urbanen Landschaften auszumalen. In seinem Blick schmilzt Hamburg mit Paris und New York in einer Art globalisierter Architektur zusammen. Als bräuchte der Kunstgauner und Auftragskiller Tom Ripley (Dennis Hopper) in Der amerikanische Freund nur seine Cowboystiefel an den Hacken aneinanderzuschlagen, um an den Ort seiner Wahl zu kommen.
Und wenn Nicholas Ray (Johnny Guitar), dessen Sterben Wenders in Nicks Film & Lightning over Water dokumentiert, einer der umstrittensten und aufregendsten Filme überhaupt, als totgeglaubter Maler in New York den Kunstmarkt mit Selbstfälschungen irritiert, ist das ein wunderbar pointiertes Statement zum eigenen Widerstandskampf des Altmeisters gegen die Verwertungsindustrie Hollywoods. Zum Schluß von Nicks Film hebt Nicholas Ray sein letztes Stück Leben selbst in der Kunst auf. Zum letzten Mal befielt er erschöpft: „Cut!“. Und das wars. Schlicht und ergreifend.
Der amerikanische Freund: Sa 25.12, 17 Uhr + So 26.12, 19 Uhr + Mo 27.12., 17 Uhr + Mi 29.12. 21.15 Uhr + Do 30.12., 17 Uhr
Der Stand der Dinge: So 26.12, 17 Uhr + Mo 27.12., 21.15 Uhr + Mi 29.12., 19 Uhr + Do 30.12., 19.15 Uhr, Metropolis (wird im Januar fortgesetzt)
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