Für private Pleiten fehlt das Geld

Nach einem Jahr hat kaum ein Schuldner Gebrauch vom neuen Insolvenzrecht machen können. Das Verfahren ist zu kompliziert – und zu teuer ■ Von Horst Peter Wickel

Nürnberg (taz) – Im vergangenen Winter war Barbara T. kurz davor, „aus dem Fenster zu springen“. Mit Anfang 30. Beinahe alles war „den Bach hinuntergegangen“. Mit Mitte zwanzig hatte sie in München auf eigene Rechnung eine Filiale eines bekannten Versandhandels eröffnet. Ihr Ehemann machte gerade seinen Meisterbrief als Metzger. Nach der Geburt des zweiten Sohnes zog die Familie wie so viele in eine größere Wohnung. Küche und Schlafzimmer kauften sie auf Kredit. Der Meisterschulbesuch ihres Mannes hatte 25.000 Mark gekostet.

Trotzdem schien alles kein Problem: Schließlich investierte T. reichlich in Ausstattung und Werbung. Doch die mutige Existenzgründerin hatte sich verkalkuliert. Die Kundschaft blieb aus, und irgendwann blieb kein Ausweg mehr. T. war pleite. Zu den Krediten für Küche, Schlafzimmer und Ausbildung des Mannes kamen noch 90.000 Mark Schulden.

Vier Jahre ist das jetzt her. Seitdem ist der Schuldenberg nicht kleiner geworden. „Ein paar Jahre haben wir uns mit eisernem Sparen durchgewurstelt“, so T. heute. Keine neuen Kleider für die Eltern, nur das Nötigste für die Kinder. Nie abends ausgehen. Nie in den Urlaub fahren.

Das Metzgergehalt ihres Mannes reichte hinten und vorne nicht. „500 Mark haben wir jeden Monat abbezahlt“, sagt T., „doch das reichte nicht einmal für die Zinsen.“ So wuchs und wuchs der Schuldenberg. Und es fiel ihr immer schwerer, vor Verwandten und Nachbarn die vermeintlich normal-heile Familie zu spielen.

Dabei ist ihr Schicksal alles andere als anormal: Die Deutschen werden mehr und mehr zu einem Volk von Schuldnern. Rund 2,3 Millionen Haushalte sind es nach Schätzungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes, auf 2,6 Millionen Haushalte beziffert die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher die Zahl der überschuldeten Haushalte, die ihren Lebensunterhalt nicht mehr sichern können. Nach ihren Berechnungen beträgt die durchschnittliche Verschuldung der betroffenen Haushalte rund 32.000 Mark. Kein riesiger Betrag, aber mit den regelmäßigen Einkünften nicht abzubezahlen.

Allein die Summe der Konsumentenkredite hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt und liegt derzeit bei mehr als 400 Milliarden Mark. Allein 1998 wurden gegen 1,1 Millionen Personen Zwangsmaßnahmen wegen Überschuldung eingeleitet. Laut dem Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen liegt das meist nicht daran, dass die Kreditnehmer nicht zahlen wollen – sie können einfach nicht. Arbeitslosigkeit, Trennung vom Partner und hoffnungslose Überschuldung sind dabei die häufigsten Gründe.

Das Anfang des Jahres in Kraft getretene Konkursrecht für private Haushalte, das neue Insolvenzrecht, soll deshalb einen leichteren Ausweg aus der Schuldenfalle bieten. Nach sieben Jahren „Wohlverhalten“ am Rande des Existenzminimums soll es zum Erlass aller restlichen Schulden führen und damit eine faire zweite Chance eröffnen.

Die Zwischenbilanz nach knapp einem Jahr ist ernüchternd: Nur die wenigsten der Schuldner dürften mit dem neuen Insolvenzrecht das rettende Ufer erreichen. Denn die neue Regelung ist, so die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, „ungeheuer kompliziert und lässt viele Fragen offen“. Allein das „Zulassungsformular“, mit dem das Verfahren eingeleitet werden muss, hat 40 Seiten. Ohne Beratung ist das Prozedere kaum zu bewältigen. Aber schon wenige Wochen nach dem Start des neuen Rechts stellten beispielsweise die Münchner Schuldnerberatungsstellen ihre Arbeit ein, weil der vom Freistaat Bayern erstattete Kostenbeitrag „nicht annähernd kostendeckend“ sei.

Die zentrale Beratungsstelle in Bonn gibt bereits eine Wartezeit von mindestens einem halben Jahr für einen ersten Gesprächstermin an. Bis Ende November hatten die Schuldnerberater 2.000 Rat suchende Insolventen abgewiesen. Wolfgang Bühler von der Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtspflege in München verbindet mit dem „Privatkonkurs“ einen hohen Beratungsaufwand, für den der Träger einer Beratungsstelle gerade mal 660 Mark erhält. Die realen Kosten liegen durchschnittlich bei mehr als 3.300 Mark.

Wer übernimmt diese Kosten?, war eine der schwierigsten Fragen bei der Gesetzgebung. Zunächst war im Gesetzentwurf eine Insolvenzkostenhilfe vorgesehen, die jedoch in der endgültigen Fassung gestrichen wurde. Nun tobt vor den Gerichten der Streit, ob die Schuldner Prozesskostenhilfe bekommen. Irgendwann, so Juristen, wird sich das Bundesverfassungsgericht damit beschäftigen müssen. Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin hat angekündigt, dass sie jetzt zum Jahresende „die Erfahrungen mit dem Gesetz auswerten“ und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen will.

All diesen Widrigkeiten zum Trotz hat Barbara T. erst einmal das Antragsformular ausgefüllt - auch wenn ihr „schon davor gegraust hat“. Alle Einkünfte und Wertgegenstände müssen darin aufgelistet sein. „Bis auf die Unterhose müssen wir uns ausziehen“, sagt sie. Aber T. weiß, dass sie keine Alternative hat. „Ich muss es wenigstens probieren.“