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Kein amerikanischer Traum bei Disney

Erstmals streiken Angestellte von Disneyland bei Paris für mehr Lohn. Viele hofften anfangs auf Aufstiegschancen in dem US-amerikanisch geführten Betrieb – und wurden enttäuscht ■ Aus Eurodisney Dorothea Hahn

Die Männer und Frauen von der „Millennium-Crew“ sind überall. In ihren aufgeplusterten schwarzen Westen stehen sie vor den vergoldeten Gitterstäben am Eingang zum europäischen Reich der Mickey-Mäuse. Sie gehen auch vor den Parkplätzen auf und ab. Und sie patroullieren in Gruppen durch die Vorortbahn RER-A, mit der die Beschäftigten zu ihrem Arbeitsplatz im Osten von Paris fahren.

Seit dem frühen Morgen sprechen sie die Passagiere in der RER-A an: „Fahren Sie nach Disneyland?“ Wenn sie auf „Cast-Member“ treffen – wie Angestellte im Disney-Jargon heißen –, schlagen sie ihnen vor, den Zug an diesem Tag ausnahmsweise schon an der vorletzten Station zu verlassen. Dort warteten Charterbusse, die sie direkt zu ihren Arbeitsplätzen führen. An der letzten Station hingegen drohten „Turbulenzen“, könne „nicht für ihre Sicherheit gesorgt werden“.

Viele Beschäftigte steigen in die bereitstehenden Busse. Auch solche, die an diesem letzten Tag vor Heiligabend eben noch laut in der RER-A darüber diskutiert haben, ob sie gleich in ihre Dienstkleidung als Goofy oder Daisy, als Kellnerin oder Portier schlüpfen oder sich an dem Streik für angemessene Zuschläge für die Silvesterarbeit und für eine Lohnerhöhung beteiligen wollen, zu dem ihre fünf Gewerkschaften aufgerufen haben. Aber einfach „nein“ zu sagen, ist verdammt schwer, wenn man morgens um 7 Uhr im Zug plötzlich von lauter Vorgesetzten umzingelt ist. Von Managern der großen Disney-Hotels. Von Gouvernanten der Disney-Zimmermädchen. Die schwarze Westen mit dem Aufdruck „Millennium-Crew“ tragen. Und von denen man nicht weiß, welche Rolle sie bei den jüngsten Strafversetzungen im Themenpark gespielt haben. Und ob sie nicht doch Einfluss auf die nächsten Beförderungen haben.

An der Endstation der RER-A, die der französische Staat für Disneyland gebaut hat, sind Trommelschläge zu hören. Gemeinsam ziehen Gewerkschafter der sich oft spinnefeinden Organisationen – CGT, CFDT, CFTC, FO und UNSA – durch die Halle und verteilen Flugblätter. „Kollegen“, steht darauf, „ wir sind auf die Weigerung der Direktion gestoßen, die Verhandlungen über Lohnerhöhungen und eine Silvesterprämie vor Jahresende zu beenden. Jetzt rufen wir euch zum Streik auf.“ Manche Ankommenden mischen sich unter die Gruppe, stülpen ein Gewerkschaftshemd über oder heften sich einen Sticker an das Hemd. Rund 500 sind es, die gegen 8 Uhr morgens den ersten kleinen Umzug vor den Augen der „Millennium-Crew“-Member am Disney-Eingang veranstalten. Insgesamt beschäftigt Disneyland 7.800 Leute, darunter allerdings auch viele Teilzeitkräfte, die heute nicht zur Arbeit müssen. „Wir wollen Kohle“, skandieren die Streikenden. Und: „Verhandelt endlich mit uns.“

„Seit acht Jahren bin ich Kellnerin in Eurodisney“, schimpft eine junge Frau, „es gab keine einzige Beförderung und keine Lohnerhöhung. Jetzt reicht es.“ Ein Mann von der Putzkolonne erzählt resigniert: „Am Anfang habe ich geglaubt, ein großes amerikanisches Unternehmen, das würde Aufstiegschancen bieten, aber nun weiß ich, dass Schwarzhäutige wie ich keine Chance haben.“ „Ich muss meine Chefin fragen, ob ich auf Klo gehen darf“, sagt ein Zimmermädchen wütend. „Wenn ich fünf Minuten Verspätung habe, werde mir 2,05 Franc abgezogen“, klagt eine Kassiererin.

Bei Eurodisney, wo viele von ihnen vor acht Jahren ein neues Berufsleben beginnnen wollten, sind die „Cast-Member“ längst ernüchtert. Die meisten von ihnen arbeiten zum Mindestlohn (rund 1.960 Mark brutto) und haben nicht die geringste Aussicht auf Veränderung. „Ich schäme mich, zu erzählen, wie wenig ich verdiene“, sagt leise ein Mann, der in einer Disney-Küche arbeitet, drei Kinder zu Hause hat und mit seinen beinahe 50 Jahren kaum noch einen anderen Job finden kann.

Doch an diesem Tag sind die „Cast-Members“ zum allerersten Mal in der europäischen Disney-Geschichte zu einem gemeinsamen Streik zusammengekommen. „Was habe ich schon zu verlieren“, fragt eine Küchenhilfe.

Philippe Lafrandre, der Direktor des Pariser Diseny-Parks, der auch den „Service“ der schwarz-bejackten „Millennium-Crew“ organisiert hat, spielt den Streikerfolg herunter: „Unser Park funktioniert zu 90 Prozent“, behauptete er gestern morgen vor Journalisten. Dann lud er die Gewerkschaften seiner „Cast-Member“, die vor den Toren der Western-Bar „America“ nach „sofortigen Verhandlungen“ riefen, zu neuen Gesprächen ein. Sein Terminvorschlag: heute, Heiligabend, 16 Uhr.

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