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Die Nacht der Nächte

Die Millenniumsveranstalter und die Hotelbranche sind zufrieden: Etwa eine Million Gäste werden zur Jahreswende in der Hauptstadt drängeln ■ Von Dirk Hempel

Auf Euphorie folgt meistens Ernüchterung. Erst recht zu Silvester. Aber dieses Jahr ist alles anders, schließlich geht es ins Jahr 2000. Also wird die anfängliche Euphorie über das Geschäft durch Zufriedenheit abgelöst.

Für den Ausrichter der offiziellen Feierlichkeiten, die „Silvester in Berlin GmbH“, ist der Tag ein Erfolg. Ihre größte Veranstaltung ist kostenlos, finanziert durch Werbepartner: eine „Erlebnismeile“ zwischen Siegessäule und Alexanderplatz. Mit „gut einer Million Gäste“ rechnet das Unternehmen, die Polizei sogar mit 1,5 Millionen.

Andere zunächst geplante Veranstaltungen sind abgesagt: Die AG City verzichtet auf ihr Straßenfest am Kurfürstendamm und die Deutsche Oper auf eine Luxusgala. Heike Hachmeister von „Silvester in Berlin“ kennt das Problem: „Die Karten für teure Events werden uns nicht gerade aus der Hand gerissen.“ Für die luxuriöse Gala „Millennium 2000 Berlin“ im Zelt am Reichstag sind noch Karten für 1.999 Mark zu haben, etwas weniger als 100 der 1.200 Plätze sind weiter frei. Billiger verkauft sich besser, so Hachmeisters Eindruck: „Niedrig- bis mittelpreisige Veranstaltungen werden stark nachgefragt.“

Ein großer Teil der Partygänger kommt schließlich gar nicht aus Berlin, sondern muss auch Anreise- und Übernachtungskosten aufbringen. Etwa eine Million Gäste erwartet die Hauptstadt – zur Zufriedenheit der Hotel- und Gaststätteninnung. „Die anfängliche Euphorie hat sich aber gelegt“, so Geschäftsführer Karl Weißenborn, „für kurzentschlossene Besucher besteht also Aussicht, das ein oder andere Zimmer zu finden.“ Im Neuköllner Estrel und dem Aparthotel am Treptower Park gibt es beispielsweise diverse verfügbare Zimmer. Die Preise in der Branche seien nicht übermäßig hoch, aber seit Jahresbeginn durchaus angestiegen.

Manche Berlin-Besucher verdienen sich nach Angaben von Weißenborn den Silvester-Aufenthalt sogar selbst: „Aus Westdeutschland wollten Kellner und Hotelangestellte nach Berlin kommen, um hier zu feiern und sich zugleich das Geld für den Kurztrip zu verdienen.“

In der Tat kann viel verdienen, wer an Silvester arbeitet. Die Deutsche Post, Hauptsponsor der „Erlebnismeile“, zahlt nach Angaben der Arbeitsvermittlung Heinzelmännchen beispielsweise 60 Mark pro Stunde an jene, die im Silvestertrubel Millenniums-Sondermarken unters Volk bringen.

Den Auftrag zu besetzen ist für Heinzelmännchen kein Problem: Bewerber, die den Jahreswechsel arbeitend verbringen wollen, gibt es in Hülle und Fülle.

„Wir haben genügend Fachkräfte, die zu Silvester gerne arbeiten wollen“, sagt auch Astrid Ziegenhardt, Niederlassungsdirektorin der Zeitarbeitsfirma Adecco. Für hohe Löhne allerdings – bis zu 180 Mark pro Stunde reichten die Verdienstvorstellungen. Besonders Babysitter, Kellner und Call Center Agents werden angefordert – denn die wegen des Jahr-2000-Problems eingerichteten Hotlines müssen gerade in dieser Nacht besetzt werden. „Zu Jahresbeginn hatten wir etliche Anfragen von Firmen nach Personal, aber seit dem Spätsommer ist das vorbei“, so Ziegenhardt.

Nur mit den Taxis – darin unterscheidet sich dieses Silvester nicht von denen der Vorjahre – wird es vermutlich eng werden. Dafür aber bietet die BVG den Berlinern wie den Besuchern eine Art Millenniumsticket: Für 14 Mark können zwei Personen vom frühen morgen des 31. Dezember bis 18 Uhr am 1. Januar im gesamten Tarifgebiet hin- und herfahren so viel sie wollen.

Vom Run auf Berlin profitieren eben alle. In keiner anderen Stadt gibt es zum Jahreswechsel so viele Events und Parties. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wird den Beginn des Jahres 2000 an seinem neuen Amtssitz zubringen. Wo genau, darüber gibt es bisher aber keine Informationen.

Auswahl hat er genug – in der Hauptstadt wird für jeden Geschmack etwas geboten: Udo Jürgens singt im ICC, das BKA-Luftschloss präsentiert Comedy mit Helge Schneider, in der Max-Schmeling-Halle tobt der Musikantenstadl, das Kreuzberger SO 36 veranstaltet eine „2000-Pfennig-Party“ speziell fürs schwul-lesbische Publikum, und im Kulturzentrum Tacheles sind harte Techno-Bites angesagt.

Und natürlich gibt es auch jede Menge Feuerwerke – schließlich ist Silvester. Das größte davon am Brandenburger Tor. Das erste offizielle Silvesterfeuerwerk des Abends wird zwar viel zu früh, dafür aber kindergerecht abgefeuert: um 17 Uhr bei der Kinderparty vor dem Roten Rathaus. In Berlin hat das Jahr 2000 dann zwar noch nicht begonnen. Aber in Hongkong springt die Datumsanzeige gerade auf den 1. Januar um – wenn kein Jahr-2000-Problem dazwischenkommt.

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