: Israel-Reisegeld immer im Schrank
Hans Frankenthal, ehemals Sklavenarbeiter bei der I.G. Farben in Auschwitz und Vizepräsident des Auschwitz-Komitees, ist gestorben
Köln (taz) – Ob er es bereut hat, in Deutschland geblieben zu sein? Hans Frankenthal beantwortete diese Frage eindeutig: „Keine Minute.“ Es gebe zwar unter Juden die Auffassung, kein Jude dürfe in Deutschland bleiben. Aber „das hätte denen in Deutschland am besten gefallen. Dann wäre die Geschichte ganz vom Tisch gewischt worden.“ So einfach wollte er es den Verdrängungskünstlern und Schlussstrichziehern nicht machen. Am 22. Dezember starb der jüdische Kommunist und Auschwitz-Überlebende Hans Frankenthal.
Wie Ignatz Bubis hatte Hans Frankenthal jahrzehntelang nicht über seinen Leidensweg im Nationalsozialismus gesprochen. Er versuchte, in der Verdrängungsgesellschaft der Bundesrepublik ein „normales“ Leben zu leben, baute das elterliche Viehhandels- und Metzgergeschäft im Sauerland wieder auf, heiratete und gründete eine Familie. Niemand fragte nach seiner Geschichte oder dem Verbleib seiner Eltern. „Wir mussten weiterleben, deshalb haben wir genauso wie die Täter verdrängt“, erklärte er später einmal. Da hatte er schon feststellen müssen, dass „einem die Geschichte nachgelaufen“ kommt; dass er reden musste, um weiterleben zu können. 1982 begann er schließlich zu sprechen, erzählte vor allem Schülern und Studenten seine Geschichte.
Mit vierzehn Jahren wird Hans Frankenthal im Mai 1941 zusammen mit seinem älteren Bruder Ernst zur Zwangsarbeit in der „Judenkolonne“ der Straßenbaufirma Lahrmann in Meschede verpflichtet. Sein Vater Max schuftet dort schon seit 1939. Als Weltkriegsveteran und Träger des Eisernen Kreuzes II. Klasse hatte der lange gedacht: „Uns kann nichts passieren, ich habe fürs Vaterland gekämpft“. Ein Irrtum.
Am 1. März 1943 wird die Familie in einem Viehwaggon nach Auschwitz deportiert. Auf der KZ-Rampe verlieren Hans und Ernst ihre Eltern aus den Augen. Sie werden sie nie wieder sehen. Vor ihnen steht KZ-Arzt Mengele zusammen mit Direktoren der I.G. Farben. Sie halten Ausschau nach neuen Arbeitskräften für den Aufbau des Chemiewerks Buna IV. Auf dem Werksgelände hat das Chemiekartell ein eigenes Konzentrationslager errichtet: das KZ Monowitz, Auschwitz III. Vier Reichsmark pro Tag zahlen die I.G. Farben für jeden Arbeitssklaven an die SS. Nach sechs Wochen leben noch knapp 70 der 500 Männer, die mit Hans und Ernst eingeliefert worden sind. Die Brüder überstehen den Terror. Dabei verdanken sie, so wird Frankenthal später erzählen, ihr Überleben gerade kommunistischen Häftlingen: „Die haben mich schließlich auch zum überzeugten Kommunisten gemacht.“ Er beteiligt sich an Widerstands- und Sabotageaktionen. 1945, bei er Befreiung, liegt Frankenthal mit Typhus im Koma. Aber er überlebt.
Als Vizepräsident des Internationalen und des Deutschen Auschwitz-Komitees und Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland nahm Hans Frankenthal auch in den letzten Monaten seines Lebens noch an unzähligen Veranstaltungen teil. Vehement kämpfte der bereits von Knochentuberkulose schwer Gezeichnete für eine angemessene Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter. Sein Auftritt auf der Hauptversammlung der I.G. Farben i. A. im August in Frankfurt am Main sorgte für Tumulte. Die Aktionäre wollten nicht hören, was ihnen der einstige I.G.-Farben-Zwangsarbeiter zu sagen hatte. Die Tagungsleitung entzog ihm das Wort.
Den bundesdeutschen Verhältnissen misstraute Hans Frankenthal bis zuletzt zutiefst. Er habe, so verriet er einmal, „immer 760 Mark im Schrank, um notfalls sofort nach Israel fliegen zu können“.
Am Abend des 22. Dezember erlag Frankenthal 73-jährig seinem schweren Krebsleiden. Seine Lebenserinnerungen hatte er inzwischen aufgeschrieben: Im Juli 1999 erschien „Verweigerte Rückkehr. Erfahrungen nach dem Judenmord“. Pascal Beucker
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