: Die Letzte zieht den Stöpsel raus
Im Stadtbad Charlottenburg gibt es die letzte Reinigungsabteilung Deutschlands. Hier waschen sich Obdachlose, Studenten, Alte oder alle, die einfach nur ein Wannenbad genießen möchten. Erika Wiegand betreut die wenigen Gäste der „one man swimming pools“ ■ Von Kirsten Küppers
Der Heilpraktiker, der neulich im Fernsehen sagte, Duschen sei nichts für Schwachnervige, weil das Prasseln des Wassers auf der Haut sich negativ auf den Emotionshaushalt auswirke, wäre sicher für den Erhalt kommunaler Wannenbäder. Doch neben den Schwachnervigen haben vor allem die üblichen Betroffenengruppen unter dem stillen Wandel der Moderne zu leiden: Arme, Alte, Ausländer, sozial Schwache, unverbesserliche Genießer.
Abgewickelt wird ein Arbeitsplatz, an dem die 59-jährige Erika Wiegand sommers wie winters bei 24 Grad in Shorts herumläuft. Vielleicht wird in ein paar Jahren einmal ein Foto ihrer Arbeitsstätte im Hygiene-Museum Dresden ausgestellt: Keine Fototapetenlandschaft mit Palmen. Vielmehr ein neonbeleuchteter hellgelb gekachelter Gang mit 12 Türen. Links an der Wand hängen beigefarbene Fönautomaten. Befindlich in einem seperaten Bereich des Stadtbads des Berliner Bezirks Charlottenburg. Hier ist die letzte Reinigungsabteilung Deutschlands, schwört Manfred Radermacher, der Sprecher der Berliner Bäder Betriebe (BBB).
Vierzig Minuten Wannenbad oder Duschen in den Einzelkabinen kosten vier Mark. Nur noch mittwochs und samstags ist geöffnet. Erika Wiegand, die als Angestellte der Bäder Betriebe die Kabinen vermietet, vermutet: „Wenn ich in Rente gehe, machen sie diese Abteilung auch dicht.“ Und Manfred Radermacher mag dem kaum widersprechen: „Wenn die nächsten größeren Renovierungsarbeiten fällig werden, werden wir die Reinigungsabteilung aus wirtschaftlichen Gründen schließen“.
Einst gehörten täglich geöffnete Reinigungsabteilungen zu jeder Badeanstalt der Stadt. Wegen der hohen Zahl an unsanierten Altbauwohnungen ohne eigene Badewanne oder Dusche hatte Berlin lange Jahre als bundesweit einzige Stadt seinen Bürgern noch diesen Service angeboten: „In anderen Kommunen sind solche Reinigungsabteilungen schon längst abgewickelt“, meint Radermacher. Anfang Dezember wurden jedoch auch im Stadtbad des sozial schwachen Bezirks Neukölln die Wasserrohre der vorletzten Reinigungsabteilung trotz Bürgerprotesten auf immer gekappt. „Zu teuer, zu wenig Personal, kein Bedarf mehr“ lautet die Begründung von BBB-Mitarbeitern für die Schließung.
Tatsächlich hat die Nachfrage nachgelassen. Als Erika Wiegand Anfang der 70er-Jahre im Stadtbad Charlottenburg anfing, drängelten sich täglich 250 Menschen in zwei nach Geschlechtern getrennten Abteilungen um ein Bad in einer der 33 emaillierten Füßchenwannen. „Da kam ich nicht mal dazu, meine Stulle zu essen“, sagt Wiegand. Damals gehörten auch Kohlenschlepper, die sich den Staub eines Arbeitstages abwuschen, zu den Kunden. Nach einer Renovierung der Badeanstalt vor 13 Jahren blieben nur drei kleinere moderne Badewannen und sieben Duschen übrig. Derzeit nutzen etwa 25 Besucher die Abteilung pro Tagesschicht. Da kommt bei Erika Wiegand eher Langeweile auf. Zeit, in ihrem kargen überheizten Personalraum Das goldene Blatt durchzublättern, ab und zu an ihrer Cola light zu nippen, viele Zigaretten zu rauchen, dem eintönigen Rauschen der Duschen zu lauschen.
Unter der Brause nebenan schnaubt ein Besucher derb auf, hustet, dass der Badeaufseherin der Appetit auf ihr Hackepeterbrötchen vergeht. „Aber es sind nur wenige, die diese Spuckerei an sich haben“, nimmt Wiegand ihr Publikum in Schutz. Die meisten sind Stammgäste. Manche reisen sogar aus dem Umland an. Aus Nauen und Königs Wusterhausen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine halbe Tagesfahrt weit weg. Die Klientel sind größtenteils Obdachlose oder Mieter unsanierter Altbauwohnungen: Sozialhilfeempfänger, Rentner, Studenten, Ausländer. Viele kennt Wiegand noch als Kinder, die mit Eltern zum familiären Badeausflug kamen. Einer davon, ein junger Türke namens Nefi Güzel, gönnt sich heute ein Erkältungsbad. „So eine Wanne ist doch was fantastisches“, begeistert er sich.
Nicht alle, die sich in die Kabine legen, haben kein Badezimmer zu Hause. „Viele Herren sind zu faul zum Wanneputzen hinterher und kommen deswegen“, weiß Wiegand.
Der 87-jährigen Elfriede Böhnert wurde eine neue Badewanne in ihre Wohnung gebaut. Trotzdem zelebriert sie „aus Tradition“ die Reinigungskultur in der öffentlichen Einrichtung. „Als Kleinkind hat mich meine Mutter bei großer Wäsche im Waschzuber gebadet. Aber seit 1930 gehe ich jede Woche hierher zum Waschen.“ Ein Wilmersdorfer Lehrer sucht die Badewanne „zum Nachdenken an einem langen Wintertag“ auf.
Selten ist soviel los, dass im Flur der heiße Wasserdampf steht. Wohlig räkelt sich an diesem Samstagnachmitttag eine ältere Frau unter dem warmen Luftstrom des Haartrockners. Im Sommer kommt bisweilen eine Busladung spanischer oder englischer Touristen, denen Erika Wiegand scherzhaft ihre „one man swimming pools“ verpachtet. Zur Love Parade steht sie Teenagern, die sich vor den Spiegeln aufbrezeln, mit Schminktipps zur Seite.
Die Arbeit ist hart. Nach jedem Besucher säubert die Badeaufseherin die Nasszellen. Die Kacheln müssen gescheuert, Boden und Wände mit einem Schlauch abgespritzt, die Gullis von Seife, Haaren, Sand, Spucke, Pflastern, Kaugummis und Fäkalien gereinigt werden. „Auch die Gerüche sind unangenehm“, meint Wiegand. „Es gibt Leute mit fürchterlichen Käsefüßen, die nach dem Baden dieselben dreckigen Sachen wieder anziehen, weil sie keine anderen besitzen. Andere nehmen soviel Parfüm, dass man denkt, die Flasche ist kaputtgegangen.“
Einer mit mächtiger Fahne aber inzwischen frisch geföhnten langen Haaren huscht wieder in den kalten Dezembertag hinaus. Häufig muss Wiegand Besucher mit starkem Alkoholrausch abweisen. Trotzdem passiert es ab und an, dass ein Betrunkener unter dem warmen Wasserstrahl einschläft. Weil sie nicht kräftig genug ist, einen schweren nassen Männerkörper aus der engen Kabine zu heben, weckt sie das Opfer mit kaltem Duschwasser. „Da wird jeder wach“, schwört sie.
Was wird aus denen ohne eigene Dusche oder Badewanne, wenn auch Charlottenburg seine Reinigungsabteilung dichtmacht? Zur Körperreinigung bleibt, was auf Berlinerisch „Etagenwäsche“ heißt. Einseifen am Waschbecken. Das Angebot der Bäderbetriebe, Schwimmhalle und die dazugehörigen Duschen zu nutzen, ist für viele keine Alternative. „Ich leide unter Hautproblemen und schäme mich in den Gemeinschaftsduschen. Man will ja auch mal seine Privatsphäre“, erklärt eine Rentnerin. Ein Sozialhilfeempfänger aus Hermsdorf führt eine Chlorallergie an. Wenn die Bäderbetriebe die Reinigungsabteilung schließen, will er „wegen dieser Menschenverachtung“ vor das Bundessozialgericht nach Kassel ziehen, wettert er mit vom Haare föhnen geröteten Gesicht.
Erika Wiegand hat für die Politik ihres Arbeitgebers schon seit der letzten Preiserhöhung der Bäderbetriebe, die Anfang dieses Jahres die Ermäßigung für Sozialhilfeempfänger, Renter und Studenten beseitigte, kein Verständnis mehr. Inzwischen kostet einmal Duschen gehen mit Hin- und Rückfahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln knapp 12 Mark. „Das ist doch eine Ungeheuerlichkeit!“ schimpft sie, klopft sauer an eine Duschkabine und fordert den letzten Duscher zum Abtrocknen auf.
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