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Neues Gift in alten Stollen

Sondermüll aus Verbrennungsanlagen landet zunehmend in Bergwerksstollen statt auf Deponien. Besonders die Ablagerung in alten Kohleschächten ist gefährlich ■ Von Maike Rademaker

Unten ist es stockduster, nur die Lichtkegel der Kleinlaster lassen die grauroten Wände und Decken aufleuchten. Die Luft wird immer wärmer. Dicke, salzige Staubwolken legen sich auf Haut und Kleidung. „Hier machen wir auch von Zeit zu Zeit Mountainbike-Rennen“, erklärt einer der Fahrer seinen Mitreisenden.

Hier, das ist 800 Meter unter der Erdoberfläche im Kalibergwerk in Thüringen, in Sondershausen. 200 Kilometer Strecke ziehen sich unter dem Ort hindurch: rund fünf Meter hohe und zehn Meter breite, rot glitzernde Bergwerksstollen. Die reinste James-Bond-Strecke. 1991 wurde das Bergwerk im Zuge der Vereinigung wegen Unwirtschaftlichkeit geschlossen. Eine „harte Abbruchkante“ nennt der Bergmann, wenn ein Bergwerk ohne Übergang stillgelegt wird und einsturzgefährdete Stollen nicht mit Material aus neuen Stollen gefüllt werden. 3.600 Menschen verloren damals ihren Job und der Berg über den verwaisten Stollen begann sich millimeterweise zu senken.

Mittlerweile geht es den Sondershausenern besser. 1.800 haben eine Arbeit im neuen Gewerbegebiet auf dem Bergwerksgelände gefunden, davon 90 im Bergwerk selbst. Sie sorgen dafür, dass die einsturzgefährdeten Stollen direkt unter dem Ort „versetzt“, also gefüllt werden, damit der Berg gestützt wird. Würde das nicht geschehen, drohte Sondershausen ein ähnliches Schicksal wie Halle im September 1996. Dort wackelten um halb sechs Uhr morgens die Häuser. Ein Stolleneinsturz im Bergwerk, in der 15 Kilometer entfernten Grube Teutschenthal, hatte ein vergleichsweise schweres Erdbeben ausgelöst, immerhin mit 5,5 auf der Richterskala.

Jetzt sind die Arbeitsplätze der Sondershausener Bergleute wieder bedroht. Denn der Stoff, mit dem die Stollen gefüllt werden, ist brisant. Es ist hoch giftiger Sondermüll, gepackt entweder in tonnenschwere weiße Plastiksäcke, die „big bags“, oder nach einer speziellen Rezeptur zusammengemixt zu einer braunen Brühe. Und Sondermüll, findet die Europäische Union, muss fachgerecht beseitigt werden. Das Bundesumweltministerium (BMU) argumentiert dagegen, bei der Füllung der Stollen mit Müll handele es sich um Verwertung („Nutzung der stofflichen Eigenschaften von Abfall zu baulichen Zwecken“). Nun hat die Bundesregierung auf europäischer Ebene ein Verfahren wegen Verletzung des Abfallrechtes am Hals. Behält die EU Recht, muss der Bergversatz dort gestoppt werden, wo es sich nicht um Sonderdeponien handelt. Erst nach zeitraubenden Prüfungen darf dann an einigen Stellen wieder verfüllt werden.

Das Füllen der Höhlen mit Müll lohnt sich. Müll im Berg bringt den Betreibern des Bergwerkes Geld, und für die Müllverbrennungsanlagen (MVA), die ihre Reststoffe loswerden müssen, ist es eine relativ billige Entsorgungsmöglichkeit. Für die MVA wäre die Müllentsorgung in regulären Sondermülldeponien mit ihren scharfen Umweltauflagen bis zu zehnmal teurer.

Hinzu kommt, dass Deutschland mit der Umdefinition von Müll in Wertstoff als EU-Müllhalde dienen kann. Wertstoffe dürfen als Ware gehandelt werden. Also landet in den Stollen nicht nur der einheimische Sondermüll, sondern auch ausländischer aus den Niederlanden, aus Spanien.

Aus Kohlestollen kann Gift ins Grundwasser sickern

Die Müllentsorgung in den deutschen Bergwerken ist ein gutes Geschäft geworden. Nach Informationen des Umweltbundesamtes wurden 1997 rund 1,7 Millionen Tonnen bergbaufremde Abfälle in den 30 Bergwerken untergebracht, die dafür bundesweit zur Verfügung stehen. 676.000 Tonnen davon „überwachungsbedürftige Abfälle“, sprich Sondermüll. In den drei speziell für Sondermüllbeseitigung ausgerichteten Untertagedeponien Heilbronn, Herfa-Neurode und Zielitz sind dagegen weniger als ein Drittel, nur rund 172.000 Tonnen, Sondermüll gelandet. Dabei suchen diese Deponien Hände ringend Abfall. Den zu Beginn der Neunzigerjahre prognostizierten Deponienotstand gibt es nicht. Trotzdem nimmt der Anteil des Sondermülls beim Bergversatz zu: Laut Umweltministerium landeten 1994 nur 20 Prozent des Abfalls in Bergwerken, 1997 schon doppelt so viel.

Richtig heikel wird die Angelegenheit, wenn auch Kohlebergwerke verfüllt werden. Diese verfügen im Gegensatz zu Salzbergwerken über keinen Abschluss zur umgebenden Biosphäre. Ein Kontakt zwischen den abgelagerten Giftstoffen und dem Grundwasser ist hier durchaus möglich. 1992 etwa platzten in einem Bergwerk der Ruhrkohle AG zwei Schläuche, als Abfälle aus einer Hausmüllverbrennungsanlage in die Stollen gepresst wurden. Die Analyse des Grubenwassers ergab später „auffällige Ergebnisse“.

Davon hat Dirk Jansen, Abfallexperte beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), nur durch Zufall erfahren. Jansen setzt sich seit Jahren gegen diese Art des Versatzes ein. Erst dieses Jahr erhielt die Deutsche Steinkohle-AG die Erlaubnis, im Schacht Altendorf-Ulfkotte, einem Steinkohlebergwerk in Nordrhein-Westfalen, 110.000 Tonnen bergbaufremder Abfälle abzulagern. Gemäß der Richtlinien enthalten die Rückstände aus der Klärschlammverbrennung aber viel größere Mengen an Zink, Cadmium, Blei und Chrom, als für die Einlagerung in Bergwerken erlaubt sei, erklärt Jansen.

Was genau allerdings in die Stollen gekippt, wann damit begonnen wird, erfährt Jansen nicht: „Angeblich habe ich ein gesetzliches Recht auf Informationen. Aber jedesmal, wenn ich wissen will, was genau versetzt wird, verschanzt sich das Landesoberbergamt hinter dem Betriebsgeheimnis“, sagt der Umweltschützer. „Mit dem Bergversatz werden abfallrechtliche Bestimmungen unterlaufen.“

Auch das BMU sieht den Versatz in den Kohlebergwerken zunehmend kritisch. Bis zum Frühjahr will es in Zusammenarbeit mit den Umweltministern der Länder deswegen eine bundeseinheitliche Verordnung verabschieden, die die „umweltschädliche Billigentsorgung unter Tage“ verhindert. Die giftigen Abfälle dürfen danach zukünftig ausschließlich in Salzbergwerke eingelagert werden.

Auch dort aber sollen nach der neuen Verordnung keine metallhaltigen Stäube mehr vergraben werden dürfen. Immerhin landeten 24.000 Tonnen Stahlwerkstäube 1997 in Bergwerksstollen – obwohl aus ihnen wertvolle Metalle wie Zink herausgeholt werden können. Teilweise enthält der Müll genauso viel Metall wie das Erz, aus dem es gewonnen wird. Recyclingfirmen wie die Berzelius Umwelt Service (BUS) setzen sich dafür ein, dass das Abkippen unter Tage verboten wird.

Mit der neuen Verordnung soll die Koalitionsvereinbarung erfüllt werden. Grundsätzlich gegen den Bergversatz mit Sondermüll will sich das Umweltministerium aber nicht stellen. Der Versatz sei, so Experte Rüdiger Wagner vom BMU, eine sichere und obendrein ökonomische Umgangsweise mit Sondermüll. Ob die EU sich diese Sichtweise zu Eigen macht, wird man sehen.

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