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In Karlsruhe werden Karten neu gemischt

Geschäftsverteilung am Bundesverfassungsgericht geändert

Freiburg (taz) – Udo Di Fabio muss in Karlsruhe ganz klein anfangen. Der Nachfolger des mächtigen Verfassungsrichters Paul Kirchhof ist zunächst weder für das Steuer- noch für das Europarecht zuständig. Dies geht aus der neuen Geschäftsverteilung hervor, die das Bundesverfassungsgericht jetzt bekannt gab.

Paul Kirchhof, der zum Jahreswechsel ausscheidet, hat in seiner zwölfjährigen Amtszeit viele milliardenschwere Steuerurteile vorbereitet. Zuletzt wurde Ende 1998 der Bundestag verpflichtet, Familien deutlich stärker als bisher steuerlich zu entlasten. Auch Kirchhofs europaskeptische Grundhaltung war in Karlsruhe einflussreich. Konservative Beobachter hatten gehofft, sein Nachfolger Udo Di Fabio könne Kirchhofs Arbeit nahtlos fortführen.

Aber noch bevor der auf Vorschlag der CDU gewählte Staatsrechtler – ein bekennender Kirchhof-Fan – seinen Dienst antrat, wurde sein Dezernat gründlich umstrukturiert. Man könnte auch sagen: Es wurde geradezu zerschlagen. Kirchhofs Zuständigkeiten im Steuerrecht hat jetzt die SPD-nahe Richterin Lerke Osterloh übernommen. Und das Europarecht wanderte zu Siegfried Broß, einem einst von der CDU nominierten ehemaligen Richter am Bundesgerichtshof. Damit haben die KollegInnen vom 2. Senat die interessantesten von Kirchhofs Arbeitsgebieten bereits unter sich aufgeteilt. Di Fabio dürfte vor allem um das Europarecht trauern, weil er sich hier mit konservativen Positionen bereits profiliert hatte. Ein gezielter Affront ist in der neuen Geschäftsverteilung allerdings nicht zu sehen. Es ist eher (schlechter) Stil am 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts, die „Neuen“ erst einmal unbeliebte Gebiete bearbeiten zu lassen. Für Di Fabio blieben das Völkerrecht, das Ausländerrecht und Teile des Asylrechts.

Am 1. Senat geht man mit Neulingen weitaus nobler um. Der ebenfalls frisch gewählte Richter Wolfgang Hoffmann-Riem wird wie sein Vorgänger Dieter Grimm für Medienrecht und Meinungsfreiheit zuständig sein. Für den profilierten Medienrechtler Hoffmann-Riem dürfte das ein Glücksfall sein. Ebenso für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dessen Bedürfnissen der ehemalige Hamburger Justizsenator bisher großes Verständnis entgegenbrachte.

Am 1. Senat wurde schon vielen Richtern ein Gebiet zugewiesen, auf dem sie zuvor nicht bewandert waren. Ziel dieser Strategie war es, Kontrolle und Diskussionskultur im Senat zu verbessern. Auch der erste von den Grünen vorgeschlagene Verfassungsrichter – vermutlich der Rechtsprofessor Ulrich K. Preuß – wird am 1. Senat interessante Aufgaben vorfinden. Zum Arbeitsrecht, das auch der noch amtierende Richter Jürgen Kühling bearbeitet, wird künftig die Zuständigkeit für die Vereinigungsfreiheit und das Hochschulrecht hinzukommen.

Ob Preuß nach dem Jahreswechsel aber wirklich gewählt wird, ist noch nicht sicher. Von der CDU war noch kein offizielles Signal zu hören. Dagegen hat die bei der SPD maßgebliche Justizministerin Herta Däubler-Gmelin bereits grünes Licht gegeben: „Preuß ist fachlich und von seiner Persönlichkeit hervorragend für das Amt geeignet.“

Nach diesem Richterwechsel wird das Personalkarussell in Karlsruhe etwa zwei Jahre pausieren. Im Jahr 2002 endet dann die Amtszeit von Gerichtspräsidentin Jutta Limbach (SPD). Ihre Nachfolge soll der jetzige Vizepräsident Hans-Jürgen Papier (CDU) antreten. Christian Rath

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